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Zum Eigentumserwerb an Bodenreformland

Pressemitteilung Nr. 144/2000 vom 9. November 2000

Beschluss vom 06. Oktober 2000, Beschluss vom 25. Oktober 2000
1 BvR 1637/99
1 BvR 2062/99

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Verpflichtung zur Auflassung des Eigentums an so genanntem Bodenreformland an das jeweilige Bundesland beschäftigt.

Diese folgt aus Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EGBGB.

1. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der sowjetischen Besatzungszone der landwirtschaftliche Grundbesitz von Kriegsverbrechern und Nationalsozialisten, aber auch der gesamte private Großgrundbesitz von mehr als 100 Hektar (ha) Größe entschädigungslos enteignet. Aus diesem und staatlichem Grundbesitz wurde ein Bodenfonds gebildet, aus dem Grundstücke von fünf bis zehn ha Größe an landlose und landarme Bauern, Landarbeiter, Flüchtlinge und Umsiedler verteilt wurde.

Dieses Bodenreformeigentum durfte weder verkauft noch verpachtet, geteilt oder durch Hypotheken belastet werden. In den Zuteilungsurkunden ist es jedoch ausdrücklich als vererbbar bezeichnet worden. Durch so genannte Besitzwechselverordnungen wurden im Einzelnen die Fälle geregelt, in denen Land in den Bodenfonds zurückgegeben werden konnte oder Bodenreformgrundstücke an Dritte übertragen werden durften. Voraussetzung für die Übertragung dieses Eigentums war dabei stets, dass der neue Eigentümer die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Fläche sicherstellte. Durch Gesetz vom 6. März 1990 hob der Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik alle Verfügungsbeschränkungen für Bodenreformeigentümer auf.

1992 fügte der bundesdeutsche Gesetzgeber in Art. 233 EGBGB die §§ 11 bis 16 ein. Hiermit sollte die Zuteilung von Bodenreformgrundstücken geregelt werden, die nach der Einschätzung des Gesetzgebers weder auf die Treuhandanstalt noch auf einzelne Bürger übergegangen waren. Dabei ging der bundesdeutsche Gesetzgeber davon aus, dass in der Deutschen Demokratischen Republik die Vorschriften des Erbrechts für Bodenreformgrundstücke durch die Besitzwechselvorschriften überlagert waren, Bodenreformgrundstücke daher im Erbfall nicht in den Nachlass fielen. Allerdings sind in vielen Fällen die Besitzwechselvorschriften in der Deutschen Demokratischen Republik nicht beachtet und Besitzwechsel sowie Rückführungen in den Bodenfonds nur faktisch oder gar nicht vollzogen worden. Da das erwähnte Gesetz vom März 1990 keine Übergangsvorschriften enthielt, sollten mit Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB die für erforderlich erachteten Regelungen zur Beseitigung der unklaren Eigentumslage an den Bodenreformgrundstücken im Wege einer pauschalierenden Nachzeichnung der Bodenreformgrundsätze geschaffen werden.

Das BVerfG hatte sich mit Fällen zu beschäftigen, in denen die Beschwerdeführer (Bf) Erben oder Erbeserben von Bodenreformeigentümer sind. Für diese Fälle bestimmt Art. 233 § 11 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 12 Abs. 2 und 3 EGBGB, dass der Erbe das Grundstück an das zuständige Land aufzulassen hat, sofern er nicht selbst "zuteilungsfähig" ist.

"Zuteilungsfähig" ist, wer am 15. März 1990 im Beitrittsgebiet in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft tätig war oder dies zuvor mindestens zehn Jahre lang gewesen war und im Anschluss daran keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.

2. In dem Ausgangsverfahren 1 BvR 1637/99 sind die späteren Bf letztinstanzlich vom OLG Rostock zur Auflassung der landwirtschaftlichen Grundstücke an das Bundesland verpflichtet worden. Das OLG hatte sie als nicht zuteilungsfähig im Sinne der zitierten Vorschrift angesehen. Die entsprechenden Vorschriften in Art. 233 EGBGB verstießen nicht gegen das Grundgesetz. Zwar sei das Bodenreformeigentum zu allen Zeiten vererblich gewesen, so dass die Erben mit der Aufhebung der eigentumsrechtlichen Beschränkungen für Bodenreformgrundstücke durch das Gesetz vom März 1990 eine vollwertige Eigentumsposition erlangt hätten. Dass diese seit dem 3. Oktober 1990 dem Schutz von Art. 14 GG unterfalle, begründe jedoch nicht die Verfassungswidrigkeit der Bodenreformabwicklungsvorschriften. Denn das Gesetz vom 6. März 1990 enthalte eine offensichtlich planwidrige Regelungslücke. In der Rechtswirklichkeit der Deutschen Demokratischen Republik sei die in den Besitzwechselverordnungen angeordnete Übertragung häufig ebenso unterblieben wie die Rückführung der Grundstücke in den Bodenfonds. Die ersatzlose Aufhebung dieser Verordnungen habe daher zur Folge gehabt, dass es vom zufällig entfalteten oder auch nicht entfalteten Eifer der Behörden bei der Durchführung der Verordnungen abgehangen habe, ob den Erben das Bodenreformeigentum verbleibe. Es könne nicht angenommen werden, dass dies dem Willen des damaligen Gesetzgebers entsprochen habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass dieser bei zutreffendem Erkennen eine Übergangsvorschrift für die entsprechenden Fälle erlassen haben würde.

Diese Regelungslücke habe durch die Bodenreformabwicklungsvorschriften ohne Verstoß gegen Art. 14 GG oder das Rückwirkungsverbot geschlossen werden können. Es handele sich zwar um ein Gesetz mit echter Rückwirkung, diese sei jedoch ausnahmsweise wegen mangelnden Vertrauensschutzes bei den Betroffenen zulässig.

Die Bf sahen sich durch die Entscheidung des OLG und die von ihm bestätigte Entscheidung der Vorinstanz in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 und 3 GG, jeweils auch i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, verletzt.

3. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung führt sie u.a. aus:

Zwar verlieren die bisherigen Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform unter bestimmten Umständen ihr Eigentum, dies stellt jedoch keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG dar. Es handelt sich vielmehr um eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die Entscheidung des OLG geht zurück auf die vom Bundesgerichtshof in seiner neueren Rechtsprechung entwickelte und vom OLG übernommene Erkenntnis, das Gesetz vom März 1990 enthalte eine Regelungslücke für die so genannten Alterbfälle, in denen der im Grundbuch eingetragene Eigentümer bereits vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes vom 6. März 1990 am 16. März 1990 verstorben war. An diese Erkenntnis ist das BVerfG im Grundsatz gebunden. Wie die Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sind die Auslegung und Anwendung des Rechts eines anderen Staates Sache der allgemein zuständigen Gerichte. Das BVerfG kann insoweit nur unter besonderen Umständen korrigierend eingreifen. Die Voraussetzungen dafür wären hier nur gegeben, wenn die dem angegriffenen Urteil des OLG zugrunde liegende Würdigung des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik hinsichtlich einer verdeckten Regelungslücke Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot verletzen würde. Das ist aber nicht der Fall. Der Bundesgerichtshof hat nachvollziehbar dargelegt, dass der Gesetzgeber in der Deutschen Demokratischen Republik die Anpassung der gesetzlichen Situation der Landwirtschaft an den Wandel zu einer sozialen, marktwirtschaftlich orientierten Landwirtschaft zum Ziel hatte. Bei den Beratungen sei nicht erkannt worden, dass die hierzu für notwendig erachtete Aufhebung der Besitzwechselverordnungen ohne eine Übergangsregelung für nicht vollzogene Übertragungen und Rückführungen auch die zurückliegenden Erbfälle einer Regelung zuführe. Der Sicherung der Landwirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen habe es aber nicht gedient, das Eigentum an landwirtschaftlich genutzten Grundstücken ohne weiteres den Erben verstorbener Begünstigter auch dann zuzuweisen, wenn diese weder in der Deutschen Demokratischen Republik gelebt hätten noch in der Landwirtschaft tätig gewesen seien.

Auch die Schließung der erkannten Regelungslücke vom Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie führt vor dem Hintergrund der früheren Besitzwechselvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik zu einer sachgerechten und angemessenen, den Betroffenen auch zumutbaren Eigentumszuordnung, die für die Zukunft klare Verhältnisse schafft. Die Rechtsgrundsätze, nach denen aufgrund der Besitzwechselverordnungen Erben die Rechte und Pflichten zur Bewirtschaftung des Bodenreformgrundstücks erhalten konnten, sind vom Gesetzgeber in pauschalierender Weise nachgezeichnet worden. Damit werden die Betroffenen so gestellt, wie sie gestanden hätten, wenn die Besitzwechselvorschriften vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes vom 6. März 1990 von den Behörden der Deutschen Demokratischen Republik korrekt angewendet und vollzogen worden wären oder der Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik schon vor der Wiedervereinigung eine dem früheren Besitzwechselrecht entsprechende Übergangsregelung getroffen hätte.

Die Bf können sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Schutzwürdiges Vertrauen in die Fortgeltung des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik konnte sich in der Zeit nach der Wende nicht allgemein bilden. Jedenfalls ist das Vertrauen auf den Fortbestand des in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Eigentums nur insoweit schutzwürdig, als das Eigentum dem Einzelnen bewusst und gewollt eingeräumt worden ist. Dies ist hinsichtlich des Bodenreformseigentums in den Alterbfällen nicht geschehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der damalige Gesetzgeber, hätte er die genannte Regelungslücke erkannt, in den Fällen, in denen kein Erbe die Voraussetzungen zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Grundstücke erfüllt hätte, selbst eine der Rückführung der Grundstücke in den staatlichen Bodenfonds entsprechende Regelung getroffen hätte. Dies durfte der gesamtdeutsche Gesetzgeber nachholen.

Das BVerfG weist weiter daraufhin, dass die angefochtenen Regelungen auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Zwar sind nur solche Erben eines Bodenreformeigentümers zur Herausgabe des Grundstücks verpflichtet, die bis zum 15. März 1990 noch nicht als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen worden waren, während gegenüber den übrigen Eigentümern früherer Bodenreformgrundstücke ein derartiger Auflassungsanspruch nicht besteht. Diese unterschiedliche Behandlung ist jedoch gerechtfertigt durch das Ziel des Gesetzgebers der Deutschen Demokratischen Republik, die Landwirtschaft in marktwirtschaftliche Bedingungen zu überführen. Hierfür sollten eigentumsrechtlich diejenigen gestärkt werden, die nach bisher geltendem Recht eigene land- oder forstwirtschaftliche Grundstücke bewirtschafteten. Daran konnte der Bundesgesetzgeber anknüpfen.

In einem weiteren Verfahren (1 BvR 2062/99) hat die Kammer weiter festgestellt, dass es nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstößt, hinsichtlich land- oder forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke die Zuteilungsberechtigung eines Erben nur dann anzunehmen, wenn der Betroffene am 15. März 1990 aktiv als Mitglied in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft tätig war. Diese Auslegung ist auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.

Beschlüsse vom 6. und 25. Oktober 2000 - Az. 1 BvR 1637/99 und 1 BvR 2062/99 -

Karlsruhe, den 9. November 2000