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Informationen zum Verfahren "Wahlprüfung Hessen"

Pressemitteilung Nr. 151/2000 vom 23. November 2000

Am 5. Dezember ab 10.00 Uhr wird der Zweite Senat des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen für die Prüfung der Wahl zum Hessischen Landtag mündlich verhandeln. Anlass ist ein Antrag der Hessischen Landesregierung (Antragstellerin; Ast), im Wege der abstrakten Normenkontrolle die Artikel 78 Abs. 2 und 3 der Verfassung des Landes Hessen (HV) und die §§ 1, 2 und 17 des Hessischen Wahlprüfungsgesetzes (WahlprüfG) in bestimmtem Umfang für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären.

1. Den Hintergrund des Verfahrens bildet die Wahl zum Hessischen Landtag vom 7. Februar 1999. Damals waren auf die CDU 50, auf die SPD 46, auf Bündnis 90/Die Grünen 8 und auf die FDP 6 Sitze entfallen.

Nachdem mehrere Wahlberechtigte Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl eingelegt hatten, entschied das Wahlprüfungsgericht beim Hessischen Landtag durch Urteil vom 1. Juli 1999, dass die Wahl vom 7. Februar 1999 gültig ist.

Am 3. März 2000 beschloss das Wahlprüfungsgericht, das Verfahren wieder aufzunehmen. Einer Presseerklärung des Vorsitzenden des Wahlprüfungsgerichts zufolge seien wesentliche Tatsachen bekannt geworden, die bei der früheren Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl nicht hätten berücksichtigt werden können. Dabei gehe es um die Mitfinanzierung des Landtagswahlkampfs des CDU-Landesverbandes Hessen aus undeklariertem Stiftungsvermögen in Höhe von 17 Millionen DM. Das Wahlprüfungsgericht halte den Einsatz dieses verschleierten Vermögens zur Mitfinanzierung des Wahlkampfes für sittenwidrig. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass durch diese sittenwidrigen Handlungen das Ergebnis der Landtagswahl mandatsrelevant beeinflusst worden sein könnte.

2. Nach Auffassung der Ast widerspricht der Wahlungültigkeitstatbestand "sittenwidrige Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen" in Art. 78 Abs. 2 HV wegen seiner Unbestimmtheit den Erfordernissen des demokratischen Rechtsstaates (Art. 28 Abs. 1 GG). Einfluss auf die Gültigkeit einer Wahl könnten nur solche Verstöße gegen die Grundsätze einer demokratischen Wahl erlangen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihr begangen worden sind. Außerhalb von Fehlern der Wahlorgane im Wahlverfahren sei die Beachtlichkeit von Wahlfehlern durch Dritte strikt zu begrenzen.

Darüber hinaus ist die Ast der Ansicht, dass Art. 78 Abs. 3 HV sowie §§ 1, 2 und 17 WahlprüfG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Die Entscheidung über die Gültigkeit einer Landtagswahl greife in das aktive Wahlrecht eines Großteils der Bevölkerung und in das passive Wahlrecht der gewählten Abgeordneten ein. Aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip folge, dass gegen eine solche Entscheidung der Rechtsweg zu einem unabhängigen staatlichen Gericht eröffnet sein müsse. Das aus zwei Berufsrichtern und drei Abgeordneten des Landtags zusammengesetzte Wahlprüfungsgericht genüge den an ein Gericht zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das Wahlprüfungsgericht stelle eher ein um zwei berufsrichterliche Mitglieder erweitertes Wahlprüfungsgremium des Landtags dar. Auch die Grundrechtsklage zum Staatsgerichtshof des Landes Hessen gewährleiste keinen ausreichenden gerichtlichen Rechtschutz. Sie sei nur unter engen Voraussetzungen zulässig, ihr Prüfungsumfang sei begrenzt und aufschiebende Wirkung komme ihr nicht zu. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen vom 9. August 2000, wonach im Rahmen einer Grundrechtsklage gegen eine Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts der Staatsgerichtshof die Gültigkeit der Landtagswahl umfassend überprüfen könne, führe zu keiner anderen Einschätzung.

3. Zu dem Antrag haben sich u.a. der Präsident des Hessischen Landtags, der Landtag und der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, der Verfassungsgerichtshof Berlin, der Staatsgerichtshof des Landes Hessen, das Wahlprüfungsgericht beim Hessischen Landtag und die Fraktionen der SPD, der CDU und der FDP im Hessischen Landtag geäußert.

Karlsruhe, den 23. November 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 151/2000 vom 23. November 2000

Art. 78 HV

(1) Die Gültigkeit der Wahlen prüft ein beim Landtage gebildetes Wahlprüfungsgericht. Es entscheidet auch über die Frage, ob ein Abgeordneter seinen Sitz verloren hat.

(2) Im Falle der Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl machen eine Wahl ungültig: Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren und strafbare oder gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen.

(3) Das Wahlprüfungsgericht besteht aus den beiden höchsten Richtern des Landes und drei vom Landtag für seine Wahlperiode gewählten Abgeordneten.

(4) Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.

Wahlprüfungsgesetz

§ 1

Das Wahlprüfungsgericht beim Landtag besteht aus dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, dem Oberlandesgerichtspräsidenten und drei gewählten Mitgliedern.

§ 2

(1) Die zu wählenden Mitglieder werden vom Landtag aus dem Kreise der Abgeordneten im Wege der Verhältniswahl nach dem Listenwahlsystem für die Dauer der Wahlperiode gewählt.

§ 17

Das Urteil wird mit seiner Verkündung rechtskräftig.