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Erfolglose Vb gegen Sachenrechtsbereinigungsgesetz

Pressemitteilung Nr. 29/2001 vom 7. März 2001

Beschluss vom 22. Februar 2001
1 BvR 198/98

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen das Sachenrechtsbereinigungsgesetz mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz (SachenRBerG) von 1994 regelt die Anpassung der in der DDR verbreiteten Nutzungsverhältnisse an Grund und Boden an das Recht des BGB. Bei berechtigter baulicher Nutzung eines fremden Grundstücks geschieht dies grundsätzlich in der Weise, dass der Grundstücksnutzer die Bestellung eines Erbbaurechts an dem von ihm bebauten Grundstück oder dessen Ankauf wählen kann. Der Erbbauzins beträgt nach dem Gesetz regelmäßig die Hälfte des für die entsprechende Nutzung üblichen Zinses, der Ankaufspreis grundsätzlich die Hälfte des Bodenwerts. Dadurch kommt der Bodenwert je zur Hälfte dem Nutzer und dem Grundstückseigentümer zugute. Bei der Berechnung des Bodenwerts wird der Wert eines baureifen Grundstücks zugrunde gelegt. Aufwendungen für Erschließung, Vermessung etc. sind von diesem Wert abzuziehen, falls der Grundstückseigentümer diese Kosten nicht selbst getragen hat oder das Grundstück nicht bereits während der Dauer seines Besitzes erschlossen war. Verlangt der Nutzer schnell den Ankauf und zahlt er unverzüglich den Kaufpreis, kann er nach einer weiteren Vorschrift des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes die Ermäßigung des normalen Preises verlangen.

2. Nach der Begründung der Kammer für den Nichtannahmebeschluss hinsichtlich einer Vb, die die Eigentümerin eines im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücks erhoben hatte, verstoßen die einschlägigen Regelungen des SachenRBerG nicht gegen Art. 14 oder Art. 3 Abs. 1 GG.

Dazu führt die Kammer im Wesentlichen aus:

Verlangt der bisherige Nutzer nach dem SachenRBerG den Ankauf des Grundstücks, führt dies dazu, dass der bisherige Grundstückseigentümer sein Eigentum verliert. Darin liegt jedoch keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Enteignung ist der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. Demgegenüber geht es bei der Sachenrechtsbereinigung um die Angleichung der DDR-typischen Nutzungsverhältnisse an das Immobiliarsachenrecht des BGB sowie darum, bei dieser Angleichung die betroffenen privaten Interessen zu einem Ausgleich zu bringen. Das Ankaufsrecht des Nutzers ist Teil dieses Regelungskonzepts. Wie dieses bestimmt es im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den Inhalt und die Schranken des Eigentums.

Bei dieser Inhaltsbestimmung hat der Gesetzgeber Spielraum. Er muss die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Die Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl der Allgemeinheit gemäß Art. 14 Abs. 2 GG schließt die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange desjenigen ein, der konkret auf die Nutzung angewiesen ist. Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz. Dagegen ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umso größer, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist. Auch können grundlegende Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse den Regelungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erweitern. Schwierigkeiten, die die Überführung der sozialistischen Rechts- und Eigentumsordnung einschließlich der danach erworbenen Rechtspositionen in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt, darf er deshalb bei Regelungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ebenso Rechnung tragen wie dem dazu erforderlichen Zeitbedarf.

Mit diesen Grundsätzen stimmt das genannte Regelungskonzept des SachenRBerG überein.

a) Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bodenwert prinzipiell im Verhältnis 50 : 50 auf den Grundstückseigentümer und den Nutzer aufzuteilen, ist sachgerecht. Hintergrund dessen war der explosionsartige Anstieg der Grundstückspreise nach dem Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft. Eine wirtschaftliche Leistung des Grundstückseigentümers oder des Nutzers liegt den Bodenwertsteigerungen nicht zugrunde, sie stellen für beide Seiten einen unerwarteten Gewinn dar. Das Grundeigentum hatte in der Deutschen Demokratischen Republik seinen wirtschaftlichen Wert so gut wie verloren, während die Nutzungsrechte ihren Inhabern eine eigentümerähnliche Rechtsstellung verliehen. Bei diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Gesetzgebers, die Bodenwertsteigerungen nicht ganz oder überwiegend dem Grundstückseigentümer oder dem Nutzer zuzuweisen, sondern grundsätzlich hälftig zu teilen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Gleiches gilt für die dem Nutzer eingeräumte Befugnis, zwischen der Bestellung eines Erbbaurechts und dem Ankauf des von ihm bebauten Grundstücks zu wählen:

Nutzer, die fremde Grundstücke mit staatlicher Billigung bebaut haben, haben wirtschaftliche Werte geschaffen. Da die Errichtung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück mit staatlicher Billigung nach dem damaligen Rechts- und Wirtschaftssystem der DDR berechtigt war, konnten die Nutzer darauf vertrauen, die von ihnen errichteten Gebäude grundsätzlich unbefristet nutzen zu können. Dieses Vertrauen war Grundlage für von ihnen - oftmals mit erheblichem Aufwand - getätigte Investitionen. Den Grundstückseigentümern standen hingegen bis zur Wiedervereinigung im Wesentlichen keine Verwertungs- und Nutzungsbefugnisse mehr zu. Sie konnten auch nicht damit rechnen, jene jemals wiederzuerlangen. Das Grundstückseigentum war mit den Nutzungsrechten belastet, als es in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG gelangte.

Der Gesetzgeber durfte daher dem Interesse der Nutzer an der weiteren Nutzung der von ihnen bebauten Grundstücke gegenüber dem Interesse der Grundstückseigentümer, die volle Verfügungsbefugnis wiederzuerlangen, den Vorrang und damit das genannte Wahlrecht einräumen. Dies gilt umso mehr, als für den Nutzer häufig persönliche und berufliche Existenz mit dem Grundstück verbunden sind, während es für den Grundstückseigentümer in der Regel nur um einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die Belastung seines Grundstücks geht.

Der Gesetzgeber musste sich auch nicht darauf beschränken, dem Nutzer den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts einzuräumen. Zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Nutzer besteht aufgrund der Bebauung der Grundstücke eine Art Zwangsgemeinschaft. Sie wird durch die Bestellung eines Erbbaurechts des Nutzers nicht aufgelöst, sondern nur dem Rechtssystem des BGB angepasst. Diese Möglichkeit ist vor allem im Hinblick auf die finanzielle Situation einiger Nutzer geschaffen worden, die sich den Ankauf des Grundstücks nicht leisten können. Allein das Ankaufsrecht jedoch bewirkt eine Auflösung der genannten Zwangsgemeinschaft durch die Schaffung klarer Rechtsverhältnisse. Der Gesetzgeber durfte daher zur Auflösung der Kollision vorgefundener Berechtigungen an einem Grundstück dem Nutzer zur Absicherung seiner baulichen Investitionen einen Anspruch auf Erwerb des Grundstückseigentums einräumen.

c) Der Abzug der Erschließungskosten vom Bodenwert, soweit diese nicht bereits vom Grundstückseigentümer getragen wurden, verstößt nicht gegen den Grundsatz der hälftigen Aufteilung des Bodenwerts zwischen Eigentümer und Nutzer. Zwar sind in der DDR die Grundstücke vom Staat meist kostenlos erschlossen worden. Die Erschließung stand jedoch mit der Bebauung des Grundstücks durch den Nutzer in unmittelbarem Zusammenhang. Dies rechtfertigt ihre Zuordnung zu seinem Bauvorhaben und damit den Abzug der erschließungsbedingten Werterhöhung vom ermittelten Bodenwert.

d) Schließlich ist die Minderung des Kaufpreises bei unverzüglicher Bezahlung keine unangemessene Beeinträchtigung der Belange des Grundstückseigentümers. Mit dieser Regelung soll ein besonderer Anreiz zum Ankauf des Grundstücks, der gegenüber der Erbbaurechtsbestellung zu einer einfacheren und schnelleren Rechtsbereinigung führt, und zur pünktlichen Bezahlung des Kaufpreises geschaffen werden. Dies sind legitime Regelungsziele, von denen auch der Grundstückseigentümer profitiert. Er erhält den Kaufpreis sofort und kann früher darüber verfügen.

Aus den dargestellten Erwägungen verstößt das SachenRBerG auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar steht das Wahlrecht über die Bestellung eines Erbbaurechts oder den Ankauf des Grundstücks in der Regel dem Nutzer und nicht dem Eigentümer zu. Dies ist aber deshalb sachlich gerechtfertigt, weil die Nutzer bauliche Werte geschaffen haben, auf deren unbefristete Nutzung vertrauen durften und bei einem Ankauf des Gebäudes durch den Grundstückseigentümer ihre Wohnung oder Betriebsstätte verlieren würden.

Karlsruhe, den 7. März 2001