Bundesverfassungsgericht

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Kein Baustopp im Mühlenberger Loch

Pressemitteilung Nr. 51/2001 vom 15. Mai 2001

Beschluss vom 10. Mai 2001
1 BvR 481/01

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen, mit dem zwei Naturschutzvereine einen vorläufigen Baustopp der Verfüllungsarbeiten im Mühlenberger Loch, einer Elbbucht in Hamburg, erreichen wollten.

1. Die aufgrund eines vorläufig vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses vorgenommenen Arbeiten dienen der Erweiterung eines Werksgeländes zur Fertigung des Großraumflugzeuges A3XX. Vorgesehen ist dazu die Verfüllung einer etwa 170 Hektar großen Teilfläche des Mühlenberger Lochs. Die Beschwerdeführer (Bf) waren im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren beim VG und OVG Hamburg gescheitert, die Hauptsacheverfahren sind noch anhängig.

Unter anderem die Bf haben gegen den ablehnenden OVG-Beschluss Verfassungsbeschwerde eingelegt, die sie im Wesentlichen mit einer Verletzung ihrer Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und den gesetzlichen Richter begründen. Die Vogelschutz-Richtlinie und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EG stünden der Zuschüttung des Mühlenberger Loches entgegen. Das OVG hätte auch im Eilverfahren das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorlegen müssen, damit dieser die Vereinbarkeit des Projektes mit Gemeinschaftsrecht überprüfen könne. Dieser Anspruch könne von den Bf auch im Eilverfahren geltend gemacht werden.

Der allein von den beiden Bf gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unter anderem mit Einwänden gegen die Wirtschaftlichkeit des Airbus-Projektes begründet. Zudem ginge, so die Bf, mit der Verfüllung des Mühlenberger Loches das letzte große zusammenhängende Flachwasser- und Süßwassergebiet von herausragender ökologischer Bedeutung an der Tideelbe verloren. Hierdurch werde das gesamte Gebiet der Tideelbe ökologisch nachhaltig geschädigt.

2. Die Kammer hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Verfassungsbeschwerden der Bf unzulässig sind. Die Bf legen nicht hinreichend dar, dass sie durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Grundrechten verletzt sind.

Die Bf haben kein subjektives Recht dargetan, dessen effektiver Schutz ihnen versagt worden wäre. Die Verwaltungsgerichte haben in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ausgeführt, dass die angeführten EG-Richtlinien den Beschwerdeführern keine subjektiven Rechte vermitteln. Es beeinträchtigt auch nicht die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG, wenn einem Verein kein subjektives Recht zur gerichtlichen Geltendmachung seines altruistischen Vereinszwecks eingeräumt wird. Wie die Kammer ausführt, stellt es keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes dar, dass nach hamburgischem Landesrecht ein Verbandsklagerecht nur gegen Maßnahmen in Naturschutzgebieten oder Nationalparks, nicht hingegen in Landschaftsschutzgebieten vorgesehen ist.

Gleichermaßen lässt sich eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nicht feststellen. Die deutschen Gerichte haben das Gemeinschaftsrecht anzuwenden, dem EuGH aber Fragen über die Auslegung vorzulegen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, stellt dies einen Entzug des gesetzlichen Richters dar. Das BVerfG lässt offen, ob im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Anrufung des EuGH überhaupt besteht. Allgemein kann insbesondere dann eine Vorlagepflicht bestehen, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind.

Das ist hier aber nicht der Fall. Die Hamburger Verwaltungsgerichte sind nach fundierter Erörterung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vogelschutz-Richtlinie und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie für die Bf keine individuell einklagbaren Rechte begründen. Die Bf haben nicht hinreichend dargelegt, dass es zu dieser Frage Gegenauffassungen gibt, die eindeutig vorzuziehen sind. Allein der Vortrag einer den Beschwerdeführern günstigen Ansicht, nach der ihnen die Möglichkeit eröffnet ist, die für maßgeblich erachteten gemeinschaftsrechtlichen Normen gerichtlich geltend zu machen, genügt nicht, um eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darzutun.

Karlsruhe, den 15. Mai 2001