Bundesverfassungsgericht

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Informationen zur mündlichen Verhandlungen "Rentenbesteuerung"

Pressemitteilung Nr. 89/2001 vom 12. September 2001

Az. 2 BvL 17/99

Am 9. Oktober 2001 verhandelt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts über die ungleiche Besteuerung von Renten und Pensionen. Anlass ist ein Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Münster.

a) Die Rechtslage

Nach § 19 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) sind Versorgungsbezüge (Pensionen für Richter und Beamte) als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit voll zu versteuern. Steuermindernd sind hiervon u. a. ein Versorgungs-Freibetrag von höchstens 6.000 DM und die Werbungskostenpauschale von 2.000 DM jährlich zu berücksichtigen. Das verbleibende Einkommen ist in Höhe des am Existenzminimum ausgerichteten Grundfreibetrags (§ 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG) von 12.095 DM steuerfrei, im Übrigen steuerpflichtig.

Demgegenüber sind Renten nur zu einem Teil steuerpflichtig. Sie zählen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 EStG. Wie hoch der zu versteuernde Anteil einer Rente - der sogenannte Ertragsan-teil - ist, richtet sich danach, in welchem Lebensjahr der Rentenbezug beginnt. Die in § 22 EStG enthaltene Tabelle bestimmt z.B., dass bei Rentenbeginn mit 65 Jahren nur 27% der Jahresrente steuerpflichtig sind; bei Rentenbeginn mit 43 sind es hingegen 50%, bei Rentenbeginn mit 70 lediglich 21%. Rentner können von ihrem Einkommen die Werbungskostenpauschale in Höhe von 200 DM abziehen, ferner ist das steuerfreie Existenzminimum in Höhe von 12.095 DM zu berücksichtigen.

b) Die Entwicklung der Rechtslage

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren Renten und Versorgungsbezüge zunächst gleichermaßen voll zu versteuern. Dabei sind unter Renten nicht nur diejenigen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu verstehen. Der Begriff umfasst vielmehr auch Leibrenten z.B. aus dem Verkauf von Grundeigentum oder aus privaten Lebensversicherungen. Diese gleiche Besteuerung wurde schon früh kritisiert, weil so z.B. bei einer Leibrente aus Grundstückverkauf Beträge als Einkünfte versteuert werden mussten, die wirtschaftlich betrachtet lediglich Vermögensumschichtungen darstellten. Bei Verkauf desselben Grundstücks gegen einen in einer Summe oder in Raten zu zahlenden Kaufpreis war keine Einkommensteuer fällig. Der Bundesfinanzhof entschied deswegen in zwei Grundsatzurteilen von 1952 und 1953, dass derartige Renten erst zu besteuern seien, wenn sie den Wert des veräußerten Vermögensgegenstandes überstiegen. Zunächst sollten nunmehr bei Erwerb einer Leibrente gegen Zahlung einer Einmalprämie (Grundstücksverkauf, Kauf einer Lebensversicherung) die laufenden Renten in voller Höhe mit dieser verrechnet werden.

Diese Rechtsprechung änderte an der vollen Besteuerung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Ergebnis nichts, da diese nicht mit einer Einmalzahlung, sondern durch laufende Beitragszahlungen erworben wurden.

Mit dem Gesetz zur Neuordnung von Steuern von 1954 wurde die heute noch gültige Fassung des § 22 EStG eingeführt. Ihr liegt vereinfacht der Gedanke zu Grunde, dass die Zahlung einer Rente im Alter zum Teil eine Rückzahlung des selbst eingebrachten Kapitals darstellt. Nur der Anteil, der diese "Kapitalrückzahlung" übersteigt, mithin eine Art Zins auf das eingebrachte Kapital darstellt, soll besteuert werden. Da das Verhältnis von "Kapitalrückzahlung" und "Zinsertrag" von der Laufzeit der Rentenzahlungen abhängt, legt die Tabelle in § 22 EStG auf Grund der statistisch festgestellten durchschnittlichen Lebenserwartung fest, welcher Anteil bei welchem Renteneintrittsalter als "Zinsertrag" zu versteuern ist. Diese Idee einer auf den Ertragsanteil beschränkten Versteuerung von Veräußerungsrenten übertrug der Gesetzgeber gleichzeitig auch auf die Sozialversicherungsrenten, denen bis zum Jahr 1956 das Prinzip der Kapitalansammlung zugrunde lag. Seither basiert die gesetzliche Rentenversicherung auf einem Umlageverfahren. Diese Regelung ist seit 1955 unverändert, die Ertragswerttabelle in § 22 EStG wurde zuletzt 1993 angepasst. Seit 1955 werden dementsprechend Renten und Versorgungsbezüge unterschiedlich besteuert.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwei Mal mit dieser unterschiedlichen Besteuerung befasst. 1980 (BVerfGE 54, 11) hat es ausgeführt, für eine unterschiedliche Besteuerung von Pensionen und Renten sprächen sachliche Gründe. Insbesondere der Umstand, dass die Rentner aus ihrem Verdienst Beiträge für die Altersvorsorge entrichtet hätten, könne Differenzierungen dem Grunde nach rechtfertigen. Der Höhe nach habe die steuerliche Begünstigung der Rentner jedoch im Laufe der Zeit ein Ausmaß erreicht, das korrigiert werden müsse. Der Gesetzgeber sei deshalb verpflichtet, eine Neuregelung in Angriff zu nehmen. 1992 (BVerfGE 86, 369) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass dem Gesetzgeber nach der Verfassungsgerichtsentscheidung von 1980 zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes eine erhebliche Zeitspanne zur Verfügung stehe. Die Neuregelung sei in Angriff genommen, bislang sei eine Verletzung von Verfassungsrecht angesichts der Komplexität des Sachverhalts noch nicht festzustellen.

c) Der Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Münster

Dem Finanzgericht Münster liegt die Klage eines Ruhestandsbeamten vor, der den Versorgungsfreibetrag von 6.000 DM jährlich für verfassungswidrig zu niedrig hält und vorbringt, die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Pensionen und Renten verstoße gegen das Gleichheitsgebot in Art. 3 GG.

Das Finanzgericht Münster teilt diese Ansicht und hat das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Im entscheidenden Jahr 1996 sei der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, der ihm vom Bundesverfassungsgericht 1980 auferlegten Verpflichtung zur Neuregelung der unterschiedlichen Besteuerung von Renten und Pensionen nachzukommen. Dies sei durch die Erhöhung des Versorgungs-Freibetrages für Pensionäre von 4.800 DM auf 6.000 DM und die Schaffung des Werbungskostenpauschbetrags von 2000 DM jährlich nicht hinreichend geschehen. Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages im Jahressteuergesetz 1996 ("Existenzminimum") sei die Ungerechtigkeit für das Jahr 1996 vielmehr noch vergrößert worden. Da bei der Rente nur der Ertragsanteil besteuert werde, führe die Erhöhung des Grundfreibetrages bei Rentnern zu einer erheblich größeren steuerlichen Entlastung als bei Pensionären. Ein mit 65 Jahren in den Ruhestand tretender Rentner habe 1995 steuerfrei rund 30.000 DM beziehen können, 1996 auf Grund der Erhöhung des Grundfreibetrages jedoch rund 62.000 DM. Bei einem vergleichbaren Pensionär sei die Steuerfreiheit seiner Bezüge hingegen von rund 15.500 DM im Jahre 1995 lediglich auf rund 22.500 DM im Jahre 1996 angestiegen. Zwar sei die Erhöhung des Grundfreibetrages im Jahre 1996 für sich betrachtet verfassungsrechtlich geboten gewesen. Der Gesetzgeber sei gleichwohl verpflichtet gewesen, die dadurch hervorgerufene zunehmende Diskrepanz zwischen der Besteuerung von Versorgungsbezügen und Renten nicht entstehen zu lassen.

Zu dem Vorlagebeschluss haben der Deutsche Beamtenbund, das Bundesministerium der Finanzen sowie der VI., der X. und der XI. Senat des BFH Stellung genommen, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat eine Stellungnahme angekündigt.

Karlsruhe, den 12. September 2001