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Informationen zur mündlichen Verhandlung "Kernkraftwerk Biblis A"

Pressemitteilung Nr. 95/2001 vom 10. Oktober 2001

Am 23. Oktober 2001 verhandelt der Zweite Senat über einen Antrag der Hessischen Landesregierung gegen die Bundesregierung. Anlass für diesen Bund-Länder-Streit sind Erklärungen im sogenannten Atomkonsens in Bezug auf das Kernkraftwerk Biblis A sowie verschiedene Gespräche zwischen dem Bundesumweltministerium (BMU) und den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE) in den Monaten Juli und August 2000.

1. Zur Vorgeschichte

Im Jahre 1975 erhielten die RWE die Betriebsgenehmigung für das KKW Biblis A. Nach einem Störfall 1987 forderte das Land Hessen eine Sicherheitsanalyse, die die Notwendigkeit von Nachrüstungsmaßnahmen ergab. Auf ihrer Grundlage erließ das Hessische Umweltministerium im März 1991 nachträgliche Auflagen, deren Sofortvollzug angeordnet wurde. 1998 stellte der Hessische Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung der Klage der RWE hinsichtlich der meisten Auflagen wieder her. Das Hauptsacheverfahren ist bisher nicht entschieden.

Nach dem Regierungswechsel in Hessen 1999 änderte sich die Haltung des Hessischen Umweltministeriums zu Biblis A. Das Ministerium legte dem BMU verschiedene, die Nachrüstung von Biblis A betreffende Genehmigungsentwürfe zur Prüfung vor und erteilte am 15. Oktober 1999 den RWE die beantragte Genehmigung von Änderungsmaßnahmen. Am 22. Oktober 1999 nahm das BMU zu den übersandten Genehmigungsentwürfen Stellung und monierte erhebliche Defizite. Die erteilte Genehmigung zur Änderung des Nebenkühlwassersystems verstoße zudem gegen bundes-aufsichtliche Absprachen. Das Hessische Umweltministerium wurde am 29. Oktober 1999 angewiesen, Genehmigungen zur Veränderung von Biblis A erst nach bundesaufsichtlicher Zustimmung zu erteilen.

Am 14. Juni 2000 unterschrieben Vertreter der Bundesregierung und der Elektrizitätsversorgungsunternehmen - darunter die RWE - den sogenannten Atomkonsens. In den dazugehörigen Anlagen finden sich Erklärungen zu den Bedingungen eines Weiterbetriebs von Biblis A und zum zeitlichen Ablauf. Die insoweit maßgebliche Anlage 2 enthält unter Anderem den Passus:

"Das Bundesministerium wird bis spätestens Ende August 2000 gegenüber der Hessischen Genehmigung- und Aufsichtsbehörde Maßnahmen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren festlegen; dazu gehören eine Strukturierung der Verfahren und eine Definition der Bewertungsmaßstäbe."

Das Land Hessen war an der Vereinbarung und den vorangegangenen Gesprächen nicht beteiligt. Von Juli bis August 2000 fanden sodann vier Gespräche zwischen dem BMU und den RWE über das weitere Vorgehen bei der Nachrüstung von Biblis A statt. Die Termine der ersten beiden Treffen wurden dem Land Hessen nicht mitgeteilt. Für das dritte Gespräch stellte das BMU eine Teilnahme anheim, Hessen lehnte jedoch ab. In einer Erklärung vom 29. August legte das BMU sodann Nachrüstforderungen für Biblis A fest, die es unter Bezugnahme auf ein sicherheitstechnisches Konzept näher begründete. Diese Erklärung übersandte das BMU am gleichen Tage an das Hessische Umweltministerium mit der Einleitung:

"Aufgrund der Erklärung zum weiteren Verfahren der Nachrüstung des KKW Biblis Block A (Anlage 2 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000) lege ich Ihnen gegenüber Maßnahmen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren fest; dazu gehören eine Strukturierung der Verfahren und eine Definierung der Bewertungsmaßstäbe". Die gesamte Vereinbarung ist im Internet unter www.bmu.de veröffentlicht.

2. Zur Rechtslage

Das Atomgesetz gehört zur sogenannten Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG), das heißt, es wird von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt. In dieser Verwaltungsform sind die Zuständigkeiten zwischen Bund und Land verteilt. Dem Land steht die sogenannte "Wahrnehmungskompetenz" zu, nämlich das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen. Die Sachbeurteilung und Sachentscheidung, die sogenannte "Sachkompetenz" kann der Bund hingegen nach eigener Entscheidung an sich ziehen (Art. 85 Abs. 3 GG).

Die Hessische Landesregierung ist der Auffassung, dass die Bundesregierung durch die Biblis A betreffenden Erklärungen vom 14. Juni und 29. August 2000 sowie durch die unmittelbar mit RWE im Juli und August 2000 geführten Gespräche gegen Art. 30, 85 GG sowie gegen den Grundsatz des bundes-/länderfreundlichen Verhaltens verstoßen hat.

Sie sieht sich durch die beiden Erklärungen und die geführten Besprechungen in ihrer "Wahrnehmungskompetenz" verletzt. Zudem habe die Bundesregierung die Verhandlungen mit RWE "im Stile einer Geheimdiplomatie" geführt und das Land Hessen weder beteiligt noch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Auch dadurch sei das Gebot bundes-/länderfreundlichen Verhaltens verletzt worden.

Karlsruhe, den 10. Oktober 2001