Bundesverfassungsgericht

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Informationen zur mündlichen Verhandlung in den Verfahren "Festbeträge"

Pressemitteilung Nr. 31/2002 vom 11. März 2002

Az. 1 BvL 28/95 u.a.

Am 19. März 2002 verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über drei Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts (BSG) zum Thema "Festbeträge". Dabei geht es um die Begrenzung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

1. Die Einführung der Festbeträge (§§ 35 und 36 SGB V) war eine von mehreren Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. § 35 SGB V bezieht sich auf bestimmte Arzneimittel, § 36 SGB V auf sogenannte Heil- und Hilfsmittel wie Brillen oder Hörgeräte. Der Grundgedanke ist in beiden Normen der Gleiche:

In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt das sogenannte Sachleistungsprinzip. Danach erhält der Versicherte von der Krankenkasse die erforderliche Therapie oder Arznei; die Krankenkasse rechnet direkt mit dem Leistungserbringer ab. Im Gegensatz dazu erstatten private Krankenversicherungen die Kosten des bei ihnen Versicherten, der zuvor die Leistungserbringer, Medikamente etc. selbst gezahlt hat.

Vor Einführung der Festbeträge war die Krankenkasse verpflichtet, die Kosten eines verschriebenen Medikamentes, verordneter Brillengläser oder ähnliches in voller Höhe zu übernehmen. Im Bereich der Hilfsmittel war allerdings gesetzlich vorgesehen, dass die Krankenkassen mit den Leistungserbringern Preisvereinbarungen trafen. Preisempfehlungen der sogenannten Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen, die das Marktübliche nicht überschreiten durften, waren zu berücksichtigen. Bei den Arzneimitteln gab und gibt es die Rezeptgebühr, die der Versicherte ohne Rücksicht auf den Preis des Medikaments bezahlen muss.

Nach Einführung der §§ 35, 36 SGB V werden Festbeträge festgesetzt, bis zu deren Höhe die Krankenkasse das verordnete Mittel voll bezahlen muss. Nimmt der Versicherte ein teureres Produkt in Anspruch, muss er die Differenz zum Festbetrag selbst tragen. Verschreibt der Arzt ein teureres Arzneimittel, muss er den Partienten darauf hinweisen.

Die Festbeträge werden unterschiedlich festgesetzt:

Bei den Arzneimitteln ist das Verfahren zweistufig. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bildet zunächst Gruppen der betroffenen Arzneimittel nach den Kriterien identisch (gleiche Inhaltsstoffe), inhaltlich vergleichbar (ähnliche Inhaltsstoffe) und therapeutisch vergleichbar (unterschiedliche Wirkstoffe, aber gleiche therapeutische Wirksamkeit). Für die so gebildeten Gruppen setzen die Spitzenverbände der Krankenkasse dann in einem zweiten Schritt die Festbeträge fest.

Der Festbetrag soll sich aus der in der jeweiligen Gruppe vorgefundenen Preisspanne ergeben und einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleisten, andererseits zum Preiswettbewerb unter den Herstellern anregen. Einzelheiten des Verfahrens und die allgemeinen Zielvorgaben sind in § 35 SGB V geregelt. Einigen die Spitzenverbände der Krankenkassen sich nicht auf einen Festbetrag, entscheidet schließlich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Für die Hilfsmittel entfällt Stufe eins. Hier legen die Spitzenverbände der Krankenkassen die Festbeträge fest. Eine Entscheidung des Ministeriums ist nicht vorgesehen, falls die Krankenkassen sich nicht einigen. Vertreter der Hilfsmittellieferanten wie Orthopäden, Optiker oder Hörgeräteakustiker sind an der Gestaltung der Festbeträge nicht beteiligt.

2. Den Ausgangsverfahren vor dem BSG lagen drei verschiedene Konstellationen zu Grunde:

  • Ein Unternehmen der Pharmaindustrie wendet sich gegen den festgelegten Festbetrag für eine bestimmte Medikamentengruppe, aus deres ein Medikament produziert.
  • Ein Hörgeräteakustiker und eine Versicherte, die zwei Hörgeräte trägt, wenden sich gegen die Festlegung für Hörhilfen in Schleswig-Holstein. Die diesbezüglichen Festbeträge liegen im Durchschnitt 27% unter den Preisen, die nach der vorherigen Regelung zwischen Hörgeräteakustikern und Krankenkassen vereinbart worden waren.
  • Verschiedene Optikerinnungen und einzelne Optiker wenden sich gegen die Festbeträge, die für Sehhilfen in Rheinland-Pfalz festgelegt wordensind.

3. In der mündlichen Verhandlung am 19. März 2002 wird es nicht um die Höhe der jeweils festgelegten Festbeträge gehen. Das BSG hat dem Bundesverfassungsgericht vielmehr die Frage vorgelegt, ob die §§ 35 und 36 SGB V verfassungswidrig sind, weil sie die Spitzenverbände der Krankenkassen ermächtigen, die Festbeträge für Arzneimittel, Hör- und Sehhilfen festzulegen. Nach Auffassung des BSG verstößt dies gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (Art. 20 GG), gegen Art. 80 GG und gegen Art. 12 GG. Das Bundessozialgericht hält die Festbetragsregelung für eine allgemeine Regelung im Sinne einer Rechtsnorm. Die Festbeträge müssten als Rechtsverordnung mit entsprechend konkreten Vorgaben durch den Gesetzgeber erlassen werden. Keinesfalls dürfe den Spitzenverbänden der Krankenkassen überlassen werden, derartige Regeln zu erlassen, die in die Grundrechte der Arzneimittelhersteller bzw. der Leistungserbringer für Hilfsmittel eingreife.

Karlsruhe, den 11. März 2002