Bundesverfassungsgericht

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Rechtsberatung durch Inkassounternehmen

Pressemitteilung Nr. 34/2002 vom 13. März 2002

Beschluss vom 20. Februar 2002
1 BvR 423/99

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat zwei Entscheidungen des OLG Hamburg bzw. des BGH aufgehoben, mit denen den beschwerdeführenden Inkassounternehmen (Bf) die Durchsetzung von Forderungen wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz verweigert worden war.

1. Der Hintergrund war in sämtlichen Fällen vergleichbar:

Darlehensverträge einer Bank waren in ihrer Ausgestaltung vom BGH für unwirksam erklärt worden. Aus dieser Rechtsprechung ergaben sich Forderungen der Bankkunden gegen diese Bank auf Grund des Anspruchs auf Rückabwicklung der Darlehensverträge. Derartige Forderungen hatten die Bf gekauft und selbst vor den Gerichten geltend gemacht. Die Zivilgerichte hatten die Klagen abgewiesen, da mit dem Geschäft zwischen Bankkunde und Bf jeweils eine unerlaubte Rechtsberatung der Kunden durch die Bf verbunden gewesen sei. Dies mache die Kaufverträge über die Forderungen und die Abtretungen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot sittenwidrig.

2. Die Kammer hat die Entscheidungen der Zivilgerichte aufgehoben, weil sie auf einer verfassungswidrigen Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes basieren. Die Rechtsauffassung, es sei Inkassounternehmen, die über eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz verfügen, untersagt, ihre Kunden rechtlich zu beraten, verletzt die Bf in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit.

Zur Begründung führt die Kammer im Wesentlichen aus, dass der erforderliche Gemeinwohlbelang für eine solche Einschränkung der Berufsfreiheit nicht ersichtlich ist. Gründe des Verbraucherschutzes verlangen ein Verbot der Rechtsberatung durch Inkassobüros nicht. Die zur Ausübung des Berufs nötige Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz wird nur erteilt, wenn der entsprechende Bewerber über profunde Kenntnisse im materiellen und prozessualen Zivilrecht verfügt. Dies wäre nicht erforderlich, wenn die außergerichtliche Einziehung von Forderungen, die das Geschäft von Inkassobüros darstellt, eine lediglich wirtschaftliche Betätigung wäre. Auch wäre es nicht erforderlich, eine derartige wirtschaftliche Betätigung grundsätzlich Volljuristen vorzubehalten und sie für andere erlaubnispflichtig nach dem Rechtsberatungsgesetz zu machen. Bei diesem Verständnis wäre der Erlaubnisvorbehalt im Gesetz verfassungsrechtlich bedenklich. Das Gesetz lässt sich daher nur mit der Unterstellung rechtfertigen, dass typischerweise bei der außergerichtlichen Einziehung von Forderungen, die Inkassobüros nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubt wird, auch Rechtsberatung zu leisten ist.

Dass dies keine Gefahr für den Verbraucherschutz als Schutzgut des Rechtsberatungsgesetzes darstellt, zeigen bereits die Ausgangsfälle: Ohne Rechtsberatung durch die Inkassounternehmen hätten die Bankkunden gar keine Forderungen gegen die Bank geltend gemacht. Die Alternative zum Verkauf ihrer Forderung an die Bf war also, gar nichts zu erhalten.

Auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, deren Aufrechterhaltung ebenfalls Zweck des Rechtsberatungsgesetzes ist, ist durch die Rechtsberatung von Inkassounternehmen im Zusammenhang mit Forderungskäufen nicht beeinträchtigt. Ohne eine solche Beratung könnten Forderungen nicht oder schlechter bewertet und die Erfolgsaussichten ihrer Geltendmachung schlechter oder nicht prognostiziert werden. Der Schutz der Rechtspflege gebietet lediglich, dass Rechtsrat nur von sachkundigen Personen geleistet wird. Verbietet man Inkassounternehmen die Geltendmachung derart erworbener Forderungen, wird nicht die Rechtspflege, sondern der jeweilige Schuldner geschützt. Das ist nicht Zweck des Rechtsberatungsgesetzes.

Beschluss vom 20. Februar 2002

Az.: 1 BvR 423/99 u.a.