Bundesverfassungsgericht

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Einstellung der berufsbezogenen Zuwendungen an Ballettmitglieder in der Deutschen Demokratischen Republik

Pressemitteilung Nr. 71/2002 vom 2. August 2002

Beschluss vom 02. Juli 2002
1 BvR 2544/95

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden (Vb) ehemaliger Ballettmitglieder an staatlichen Einrichtungen in der DDR (Beschwerdeführer; Bf) nicht zur Entscheidung angenommen. In den Verfahren geht es um die Frage, ob aus staatlichen Haushaltsmitteln finanzierte berufsbezogene Zuwendungen an derartige Tänzerinnen und Tänzer zum 31. Dezember 1991 in verfassungsrechtlich bedenkenfreier Weise eingestellt werden durften. Die Kammer hat diese Frage bejaht.

1. Die Bf waren Ballettmitglieder an staatlichen Einrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Tänzerberuf erhielten sie eine berufsbezogene Zuwendung auf der Grundlage der Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR und der am 1. Juli 1983 in Kraft getretenen Folgeanordnung des Ministers für Kultur (Anordnung bbZ). Die berufsbezogene Zuwendung betrug höchstens 800 Mark (DDR) monatlich. Sie wurde auch bei Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit zusätzlich und unabhängig von der Höhe des dort erzielten Einkommens gewährt. Sie unterlag nicht der Besteuerung und der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Ihre Gewährung setzte grundsätzlich voraus, dass das ausscheidende Ballettmitglied das 35. Lebensjahr vollendet und den Tänzerberuf mindestens fünfzehn Jahre auf der Grundlage eines Arbeitsrechtsverhältnisses als Ballettmitglied ausgeübt hatte. Nach dem Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990 wurden die berufsbezogenen Zuwendungen der Ballettmitglieder in deutscher Mark weitergezahlt. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 sah vor, dass die Anordnung nur noch bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden ist. Deshalb wurde die Zahlung der berufsbezogenen Zuwendung von den zuständigen Stellen allgemein mit Ablauf des 31. Dezembers 1991 eingestellt. Rechtsbehelfe blieben erfolglos.

2. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden lässt die Kammer offen. Jedenfalls verletzen die maßgebliche Vorschrift des Einigungsvertrages und die auf ihr beruhenden Gerichtsentscheidungen die Bf nicht in ihren Grundrechten.

Zwar genießen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen den Schutz des Eigentumsgrundrechts nicht anders als Rentenansprüche und Rentenanwartschaften, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes erworben worden sind. Darauf können die Bf sich aber nicht berufen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Unterstellung von Renten oder rentenähnlichen Ansprüchen und Anwartschaften auf der Grundlage der Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik unter den Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG davon abhängig gemacht, dass sie im Einigungsvertrag als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannt wurden. Dies ist jedoch gerade hier nicht vorgesehen. Die Kammer brauchte daher der Frage nicht nachzugehen, ob die aus der Anordnung bbz erwachsenden Ansprüche und Aussichten schon deshalb nicht eigentumsrechtlich durch das Grundgesetz geschützt sind, weil sie nicht auf Beiträgen beruhen. Im Übrigen gelten die Zeiten der Ausübung des Tänzerberufs, für die nach dem Ausscheiden aus ihm eine berufsbezogene Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen geleistet werden konnte, im Rahmen der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung.

Auch die Grundsätze des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes sind durch die Einstellung der Zuwendung nicht verletzt. Vertrauen in den Fortbestand von Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik konnte sich in der Zeit nach der Wende wegen der möglichen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nicht allgemein bilden. Dies war nur dort möglich, wo ein besonderer Anlass für die Erwartung bestand, dass das Recht der Deutschen Demokratischen Republik ausnahmsweise in Kraft bleiben werde. Eine solche besondere Situation bestand hier nicht. Die Zuwendung hatte bereits in der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik den Charakter einer besonderen Begünstigung für eine bestimmte Berufsgruppe. Die alten Bundesländer kannten solche aus staatlichen Haushaltsmitteln finanzierte Zuwendungen an Ballettmitglieder nicht. Deshalb fehlt es auch an einem Anhaltspunkt dafür, dass der Wegfall dieser besonderen Versorgung die Bf in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.

Karlsruhe, den 2. August 2002