Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verbindung von Strafverfahren

Pressemitteilung Nr. 75/2002 vom 16. August 2002

Beschluss vom 12. August 2002
2 BvR 932/02

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verbindung zweier Wirtschaftsstrafverfahren beanstandet, weil das Gericht dem verfassungsrechtlichen Gebot fairen Verfahrens nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Dem Ausgangsverfahren liegt eine gegen den Beschwerdeführer (Bf) und vier weitere Personen gerichtete Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zu Grunde, die ihm Beihilfe zum Subventionsbetrug in drei Fällen zur Last legt. Das Landgericht Mühlhausen ließ die Anklageschrift zur Hauptverhandlung zu und verband das Verfahren mit einem weiteren Wirtschaftsstrafverfahren, das sich unter anderem auch gegen drei Mitangeklagte des Bf richtet. Bei dem hinzuverbundenen Strafverfahren handelt es sich um ein tatsächlich und rechtlich komplexes und schwieriges Wirtschaftsstrafverfahren, in dem die Hauptverhandlung in der Vergangenheit bereits dreimal begonnen worden ist und auch nach vierzig Verhandlungstagen nicht abgeschlossen werden konnte. Durch die Verbindung verlor der Bf - wegen des gesetzlichen Verbots der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) - seinen vor mehr als zwei Jahren beauftragten Wahlverteidiger. Termin zur Hauptverhandlung hat das Landgericht Mühlhausen auf den 23. August 2002 bestimmt.

Die Kammer hat durch Beschluss vom 12. August 2002 die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht Mühlhausen zurückverwiesen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Gebot fairen Verfahrens verpflichtet die Gerichte, den Strafprozess so zu gestalten, dass der Beschuldigte die Möglichkeit hat, auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Verfahrens Einfluss zu nehmen. Bei der Verfahrensgestaltung ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dem Beschuldigten der von ihm gewählte Verteidiger erhalten bleibt. Denn das der "Waffengleichheit" dienende Recht eines Beschuldigten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens als gewähltem Verteidiger vertreten zu lassen, ist notwendige Voraussetzung für eine effektive Stärkung seiner Stellung im Strafprozess. Schließlich sind die Gerichte verpflichtet, das Strafverfahren so zu führen, dass es möglichst zügig abgeschlossen werden kann. Diesen Grundsätzen hat das Landgericht keine genügende Beachtung geschenkt. Es hat bei seiner Ermessensentscheidung über die Verbindung der ursprünglich selbstständigen Strafverfahren nicht die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den Belangen des Bf und dem öffentlichen Interesse an einer prozessökonomischen Verfahrenserledigung vorgenommen. Es hat insbesondere nicht ausreichend bedacht, dass die Verfahrensverbindung hier zum Verlust des Wahlverteidigers des Bf führt. Außerdem hat es nicht erkennbar berücksichtigt, dass die Verbindung beider Verfahren mit erheblichen zusätzlichen Belastungen für den Bf (erhebliche Zahl zusätzlicher Verhandlungstage, umfangreicherer Prozessstoff) und dem Risiko einer nicht unerheblichen Verfahrensverzögerung verbunden ist.

Karlsruhe, den 16. August 2002