Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur Abgabe von Medikamenten in Krankenhauspackungsgröße in einer öffentlichen Apotheke

Pressemitteilung Nr. 86/2002 vom 10. Oktober 2002

Beschluss vom 19. September 2002
1 BvR 1385/01

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsbeschwerde (Vb) einer Apothekerin (Bf), die eine öffentliche Apotheke betreibt, stattgegeben. Diese ist berufsgerichtlich wegen einer Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße verurteilt worden, weil sie einem vorgelegten Rezept entsprechend ein Medikament in einer Packungsgröße, die nur für die Versorgung von Krankenhäusern vorgesehen ist, abgegeben hat.

1. Der vorliegende Sachverhalt erschließt sich vor dem Hintergrund vielfältiger gesetzlicher Bestimmungen, die den Vertriebsweg und die Preisgestaltung sowie die Pflichten der Apotheker bei der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln regeln. Ziel der Regulierung des Arzneimittelmarktes ist eine Senkung des Arzneimittelpreisniveaus. Danach sei im gesundheitspolitischen Interesse die Einheitlichkeit des Apothekenverkaufspreises je Produkteinheit geboten. Die in diesem Zusammenhang erlassene Arzneimittelpreisverordnung gilt nicht für Krankenhausapotheken, so dass Krankenhäuser zu Preisen unterhalb der üblichen Apothekenabgabenpreise versorgt werden. Dies geschieht durch Krankenhausapotheken, die ihre Arzneimittel aber lediglich an Krankenhäuser und gleichgestellte Anstalten abgeben dürfen (§ 14 Abs. 4 des Gesetzes über das Apothekenwesen ). Ziel dieser Beschränkung ist es, eine nicht vertretbare Verzerrung des Verhältnisses zwischen öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken zu vermeiden. Die hier maßgebliche Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker verpflichtet diese, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und die hierfür geltenden Rechtsvorschriften zu beachten. Außerdem ist ihnen unlauterer Wettbewerb verboten.

Im zugrundeliegenden Fall verschrieb ein Arzt einem Patienten das Medikament SAB Simplex in einer Menge von 4 mal 200 ml. Diese Packungsgröße darf vom Hersteller nur an Krankenhausversorgungsapotheken geliefert werden, die den Nachweis eines behördlich genehmigten Versorgungsvertrags nach dem ApoG erbringen und mit dem Hersteller einen Vertriebsbindungsvertrag geschlossen haben. Die Bf verkaufte dem Patienten entsprechend der Verordnung die Anstaltspackung zum Preis von 208,10 DM. Sie hätte an sich größere Packungen als 4 mal 30 ml des Medikaments nicht abgeben können. Der Preis für eine solche Packung betrug 57,05 DM. Für die von der Bf abgegebene Gesamtmenge von 800 ml hätte der Patient mehrere Packungen zu einem Gesamtpreis von etwa 380,00 DM erwerben müssen. Wie sich die Bf das Medikament in der Krankenhausgroßpackung beschafft hat, wurde im Einzelnen nicht aufgeklärt. Die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und der Arzneimitteilpreisverordnung darüber, in welcher Höhe durch Aufschläge auf den Hersteller- und Großhandelspreis der Apotheker den Verkaufspreis zu bilden hat, wurden von der Bf bei der Abgabe des Medikaments eingehalten. Gegenteiliges wurde von den Berufsgerichten nicht festgestellt. Das Berufsgericht für Heilberufe beim Oberlandesgericht München (BG) verurteilte die Bf wegen einer Berufspflichtverletzung zu einer Geldbuße von 3000 DM. Die Berufung der Bf hat das Bayerische Landesberufsgericht (LBG) als unbegründet verworfen. Es sei öffentlichen Apotheken aus berufsrechtlichen Gründen untersagt, für den Krankenhausbedarf bestimmte Arzneimittel in einer in öffentlichen Apotheken nicht erhältlichen Packungsgröße und/oder zu verbilligtem Preis abzugeben.

2. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Entscheidungen des BG und des LBG aufgehoben. Sie verletzen die Bf in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG. Danach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen:

Die Gerichte haben die Verurteilung der Bf auf Normen gestützt, die nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht als Rechtsgrundlage dienen können. Das von den Berufsgerichten angenommene Verbot für öffentliche Apotheken, Anstaltspackungen an Kunden weiterzugeben, ist für den Normadressaten, den Betreiber einer öffentlichen Apotheke, nicht hinreichend deutlich erkennbar. Gesetzliche Normen, die sich an einen bestimmten und umgrenzten Personenkreis richten (hier Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken) werden nicht durch die in anderen Gesetzen enthaltenen Vorschriften zur Preisgestaltung zu solchen, die auch öffentliche Apotheken betreffen. Das gilt insbesondere - wenn wie hier - kein Verstoß gegen die Regelungen der Preisbildung festgestellt worden ist. § 14 Abs. 4 ApoG richtet sich nur an Krankenhausapotheken. Das Apothekengesetz legt hingegen nicht fest, dass öffentliche Apotheken Anstaltspackungen nicht an Patienten verkaufen dürfen.

Der Bf kann auch kein unlauterer Wettbewerb angelastet werden, obwohl sie den Preisvorteil an den Patienten weitergegeben hat. In diesem Zusammenhang weist die Kammer auf die stillschweigend geduldete Praxis hin, wonach die Apotheker von den Herstellern oder dem Großhandel sogenannte Naturalrabatte erhalten, obwohl die einheitliche Preisbildung nach der Arzneimittelpreisverordnung nicht nur den Preisaufschlag verbindlich festlegt, sondern auch von einem einheitlichen Herstellerabgabepreis ausgeht. Rabatte beeinflussen die Struktur des Wettbewerbs, gleichgültig, ob der Rabatt auf den Einzelpreis der Packung gewährt wird, oder ob zusätzliche Packungen als Naturalrabatte kostenlos geliefert werden. Die Kammer bejaht zwar auch eine wettbewerbsrechtliche Zielrichtung des § 14 Abs. 4 ApoG. Wettbewerbsvorteile entstehen aber noch nicht durch die einmalige Abgabe eines preisgünstigeren Medikaments an einen Patienten. Wird der Preis korrekt gebildet, ergibt sich aus dem konkreten Verkauf kein Umsatz - oder Gewinnvorsprung. Eine Wettbewerbsverzerrung würde sich erst ergeben, wenn ein solches Verhalten vermehrt Kunden anlocken würde. Dies würde allerdings voraussetzen, dass Ärzte die Anstaltspackungen an ihre Privatpatienten verordnen.

Nachdem der Arzneimittelmarkt ohnedies durch die Naturalrabatte verdeckte Wettbewerbsvorteile duldet, können die bestehenden, vom Gesetzgeber nicht in klare Normen gefassten Wettbewerbsverzerrungen nicht zur Grundlage der berufsrechtlichen Verurteilung gemacht werden. Wird der Wettbewerb in einem Segment des gesetzlich regulierten Marktes durch eine gesetzlich nicht vorgesehene, aber nennenswerte Rabattpraxis verändert, kann die Weitergabe der Preissenkung an den Kunden nicht als schuldhafter Verstoß gegen ungeschriebene Regeln des Wettbewerbs mit einer Geldbuße belegt werden, solange weiterhin als Ziel staatlicher Reglementierung die Senkung des Arzneimittelpreisniveaus und die Herstellung einer preislichen Transparenz angestrebt wird.

Karlsruhe, den 10. Oktober 2002

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 86/2002 vom 10. Oktober 2002

Art. 103 Abs. 2 GG:

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

§ 14 Abs. 4 Sätze 1 und 2 ApoG:

(4) Die Krankenhausapotheke darf nur solche Krankenhäuser mit Arzneimitteln versorgen, mit denen rechtswirksame Verträge bestehen oder für deren Versorgung eine Genehmigung nach Absatz 2 Satz 4 erteilt worden ist. Arzneimittel dürfen von der Krankenhausapotheke nur an die einzelnen Stationen und andere Teileinheiten zur Versorgung von Personen, die in das Krankenhaus stationär oder teilstationär aufgenommen worden sind, sowie an Personen abgegeben werden, die im Krankenhaus beschäftigt sind.

§ 25 Abs. 1 Nr. 3 ApoG:

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

3. entgegen § 14 Abs. 4 Satz 1, auch in Verbindung mit Absatz 5 Satz 4, ohne erforderlichen rechtswirksamen Vertrag oder ohne Genehmigung Krankenhäuser mit Arzneimitteln versorgt oder entgegen § 14 Abs. 4 Satz 2, auch in Verbindung mit Absatz 5 Satz 4, Arzneimittel an andere als die dort bezeichneten Stellen oder Personen abgibt.