Bundesverfassungsgericht

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Tag der offenen Tür Verhandlungen des Zweiten Senats am 5. November 2002

Pressemitteilung Nr. 89/2002 vom 15. Oktober 2002

Im Rahmen des jährlich stattfindenden "Tages der offenen Tür" verhandelt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am

Dienstag, dem 5. November 2002,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, Karlsruhe

ein Verfassungsbeschwerde- und ein Normenkontrollverfahren. Bürgerinnen und Bürger aus einer breiteren Öffentlichkeit sollen damit angesprochen werden, an einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht teilzunehmen.

Im Einzelnen geht es um Folgendes:

1. 10.00 Uhr: Rückmeldegebühr in Baden-Württemberg - 2 BvL 9/98-, -2 BvL 10/98 -, 2 BvL 11/98 - und -2 BvL 12/98 -

In den Vorlageverfahren wurde dem Bundesverfassungsgericht vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass Studierende nach dem baden-württembergischen Universitätsgesetz für die Bearbeitung jeder Rückmeldung eine Gebühr von 100 DM zu entrichten haben. Das vorlegende Gericht ist von der Verfassungswidrigkeit der Gebührenregelung überzeugt, weil die Höhe der Gebühr die Verwaltungskosten der Rückmeldung um ein Vielfaches überschreite. Die Gebühr diene nicht der Kostendeckung, sondern allgemein - wie eine Steuer - der Erzielung staatlicher Einnahmen. Die Regelung einer solchen Abgabe überschreite die Kompetenz des Landesgesetzgebers und verletze die Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen.

Die Vorschrift über die Entrichtung einer Rückmeldegebühr ist am 1. Januar 1997 in Kraft getreten. Wortgleiche Regelungen enthalten in Baden-Württemberg das Gesetz über die Pädagogischen Hochschulen, das Kunsthochschulgesetz und das Fachhochschulgesetz. Die Rückmeldung dient der Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft des Studierenden in der Universität zu Beginn jeden Semesters. Wird die Rückmeldegebühr nicht gezahlt, droht dem Studierenden die Exmatrikulation.

In den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Niedersachsen bestehen derzeit ebenfalls Regelungen, welche für die Rückmeldung von Studierenden Abgaben erheben. Daneben und davon unabhängig hat das Land Baden-Württemberg eine Studiengebühr für so genannte Langzeitstudierende eingeführt. Diese steht im Rahmen dieses Verfahrens nicht zur Prüfung an.

2. 14.00 Uhr: Ausschließung des erziehungsberechtigten Vaters von der Verhandlung in jugendgerichtlichen Verfahren - 2 BvR 716/01 -

In diesem Verfahren geht es um die Frage, ob der erziehungsberechtigte Vater von der Verhandlung in einem jugendgerichtlichen Verfahren gegen seinen Sohn ausgeschlossen werden kann. Das Jugendgerichtsgesetz kommt bei Verfehlungen Jugendlicher oder Heranwachsender, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht sind, zur Anwendung. Es regelt auch die Anwesenheit des Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreters in der Hauptverhandlung. Diesem steht grundsätzlich das Recht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu, zu der er auch geladen werden soll. Daneben räumt das Jugendgerichtsgesetz auch die Möglichkeit ein, Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter von der Verhandlung auszuschließen, soweit gegen ihre Anwesenheit Bedenken bestehen (s. Anlage ).

Im Ausgangsfall verwarnte das Amtsgericht den minderjährigen Sohn des Beschwerdeführers (Bf) wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung. Zugleich wurden ihm die Ableistung von 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit und die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs auferlegt. Die Hauptverhandlung war in Abwesenheit des Bf durchgeführt worden. Der Vater, der alleiniger gesetzlicher Vertreter seines Sohnes ist, war von der Hauptverhandlung wegen seines "bekannten pädagogisch kontraproduktiven Einflusses" ausgeschlossen worden. Rechtsmittel blieben erfolglos.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Bf einen Verstoß gegen sein verfassungsrechtlich geschütztes Elternrecht. Seine Ausschließung sei willkürlich erfolgt und verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör sowie die Grundsätze fairen Verfahrens. Hätte er an der Hauptverhandlung teilnehmen können, wäre das Urteil anders ausgefallen. Sein Sohn wäre jedenfalls zum Teil freigesprochen worden. So sei sein Sohn schutzlos gestellt gewesen.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an den Verhandlungen teilnehmen möchten, werden gebeten, sich schriftlich für vormittags oder nachmittags anzumelden (Postfach 17 71, 76006 Karlsruhe, z. Hd.: Herrn Kambeitz; Fax: 0721/9101-461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer für Rückfragen anzugeben.

Karlsruhe, den 15. Oktober 2002

Anlage zu Pressemitteilung Nr. 89/2002 vom 15. Oktober 2002:

§ 51 Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten

(1) Der Vorsitzende soll den Angeklagten für die Dauer solcher Erörterungen von der Verhandlung ausschließen, aus denen Nachteile für die Erziehung entstehen können. Er hat ihn von dem, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, zu unterrichten, soweit es für seine Verteidigung erforderlich ist.

(2) Der Vorsitzende soll auch Angehörige, den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter des Angeklagten von der Verhandlung ausschließen, soweit gegen ihre Anwesenheit Bedenken bestehen.