Bundesverfassungsgericht

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Zur Aufsichtsratstätigkeit eines Notars bei einer Bank

Pressemitteilung Nr. 91/2002 vom 17. Oktober 2002

Beschluss vom 23. September 2002
1 BvR 1717/00

Die Zweite Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Verfassungsbeschwerden (Vb) zweier Anwaltsnotare (Beschwerdeführer; Bf) stattgegeben. Jeder von ihnen wollte in den Aufsichtsrat einer Bank eintreten, deren satzungsmäßiger Geschäftszweck unter anderem auch auf Grundstücksgeschäfte gerichtet war. Die zur Ausübung dieser Nebentätigkeit erforderliche Genehmigung der Aufsichtsbehörde wurde versagt, weil durch eine solche Nebentätigkeit das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars gefährdet werde.

Das Oberlandesgericht hob auf Antrag der Bf die Entscheidungen auf, der Bundesgerichtshof (BGH) hingegen bestätigte die Entscheidung der Aufsichtsbehörde. Der BGH war der Auffassung, die Mitwirkung eines Notars im Aufsichtsrat eines mit dem Verkauf oder der Vermittlung von Grundstücken befassten Unternehmens sei generell nicht genehmigungsfähig, weil sie jedenfalls den Anschein möglicher Interessenkonflikte erwecken könne.

Hiergegen wandten sich die Bf mit ihren Vb. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Die 2. Kammer des Ersten Senats hob nunmehr die Entscheidungen des BGH auf und verwies die Sachen jeweils an den BGH zurück.

Zur Begründung heißt es in der Kammerentscheidung:

Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Bf aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt. Die Anwaltsnotare werden durch die Anordnung der Aufsichtsbehörde, wonach sich diese Nebentätigkeit nicht mit dem Notariat vereinbaren lassen, in ihrer Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Grundlage der angegriffenen Entscheidung ist § 8 Abs. 3 Bundesnotarordnung (BNotO; siehe Anlage). Danach ist die Übernahme eines Aufsichtsratsmandats in einer auf Erwerb gerichteten Gesellschaft, Genossenschaft oder einem in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmen von einer Genehmigung abhängig. Die Aufsichtsbehörde hat die Genehmigung zu versagen, wenn die Tätigkeit mit dem öffentlichen Amt des Notars nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit gefährden kann. Diese Regelung als solche begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie soll im Interesse einer geordneten Rechtspflege die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare sicherstellen. Das Gesetz dient damit dem Allgemeinwohl und ist auch generell der Konfliktlage angemessen.

Die angegriffenen Entscheidungen werden jedoch dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht. Das Nebentätigkeitsverbot, das empfindlich in das Grundrecht der Berufsfreiheit der Notare eingreift, stellt eine unverhältnismäßige Einschränkung dar. Es bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit dieser Maßnahme. Gefährdungen der Unabhängigkeit beugt der Gesetzgeber bereits mit einer Vielzahl einzelner, ausdrücklich geregelter Ge- und Verbote vor. Dabei handelt es sich insbesondere um Beurkundungsverbote, die Verschwiegenheitspflicht des Notars und ein für ihn bestehendes Vermittlungs- und Beteiligungsverbot. Weiter sichert ein spezielles Werbeverbot, dass der Notar in seiner Amtstätigkeit nicht auf sonstige - erlaubte - Nebentätigkeiten hinweist. Der Bundesgesetzgeber selbst hat sogar für konkrete Fälle, in denen sich im Rahmen eines Beurkundungsvorgangs tatsächlich Berührungspunkte zwischen den Tätigkeiten als Notar und als Aufsichtsratsmitglied ergeben, in der primär mit Überwachungsaufgaben verbundenen Mitwirkung eines Notars in einem Aufsichtsorgan keine generelle Gefährdung seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gesehen. Er hat deshalb seine ursprüngliche Absicht aufgegeben, im Falle der Zugehörigkeit eines Notars zu einem Aufsichtsrat diesem ein Beurkundungsverbot aufzuerlegen. Dem Gesetzgeber genügt die Offenlegung der Beziehung als ausreichendes Mittel, um dem bösen Schein zu begegnen, weil dies die andere Partei berechtigt, für die Beurkundung einen Notarwechsel zu verlangen. Der mögliche böse Schein lässt sich auch nicht nur darauf stützen, dass die Notare die ihnen auferlegten Pflichten durchweg missachten könnten. Ginge man nämlich davon aus, dürfte man sie nicht länger als selbstständige Amtsträger walten lassen.

Der Besorgnis, Notare könnten ihre Tätigkeit zur Anwerbung neuer Mandate nutzen, im Beurkundungsbereich von ihrem Aufsichtsratsmandat profitieren oder ihr Gebührenaufkommen erhöhen, kann statt mit einer generellen Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung mit verschiedenen Auflagen begegnet werden. Zu denken ist an das vollständige oder weitgehende Verbot, in Angelegenheiten der Bank zu beurkunden oder sonst tätig zu werden. Selbst wenn die Tätigkeit des Notars im Aufsichtsrat in der Öffentlichkeit bekannt wird, kommt der Notar dann nicht in den Ruf, für die Bank parteilich oder abhängig zu arbeiten. Die Kammer hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Stellung eines "Hausnotars" auch ohne Mitwirkung in irgendwelchen Organen der Banken entstehen kann. Denn regelmäßige Geschäftsbeziehungen, denen durchaus Gefährdungspotenzial für das unabhängige und unparteiliche Notariat innewohnt, beruhen vornehmlich auf der wirtschaftlichen Macht des die notarielle Dienstleistung nachfragenden Mandanten.

Karlsruhe, den 17. Oktober 2002