Bundesverfassungsgericht

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Zur Besetzung des Aufsichtsrats der nordrhein-westfälischen Universitätsklinika

Pressemitteilung Nr. 104/2002 vom 3. Dezember 2002

Beschluss vom 11. November 2002
1 BvR 2145/01

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden (Vb) von mehreren Professorinnen und Professoren medizinischer Fachbereiche (Bf) gegen die Regelungen über die Besetzung des Aufsichtsrats der Universitätsklinika in Nordrhein-Westfalen nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Universitätsklinika waren früher Betriebseinheiten der Hochschule und nicht rechtsfähig. Im Rahmen der Novellierung des Hochschulgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen wurden sie zu rechtlich verselbständigten Medizinischen Einrichtungen der Universitäten und in Anstalten des öffentlichen Rechts umgebildet. Das Hochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gestattet die Neuorganisation des Fachbereichs Medizin auf Grund einer Verordnungsermächtigung. Nach den daraufhin erlassenen Klinikumsverordnungen sowie den Satzungen für die Universitätsklinika sind die Professorinnen und Professoren des Fachbereichs Medizin im Aufsichtsrat des jeweiligen Klinikums nicht vertreten. Sie wenden sich deshalb gegen diese Regelungen. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verletzt.

2. In der Entscheidung der Kammer heißt es im Wesentlichen:

Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Vb haben weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch werden die Bf durch die angegriffenen Regelungen in ihren Grundrechten verletzt. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gibt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem einzelnen Wissenschaftler ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraumes unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen.

Nicht jeder Hochschullehrer braucht jedoch an der Leitung der wissenschaftlichen Einrichtung, an welcher er tätig ist, teilzunehmen oder auf die Bestellung dieser Leitung Einfluss auszuüben. Besonderheiten für die Organisation der Hochschulklinika ergeben sich daraus, dass sie neben Forschung und Lehre auch die Aufgabe der Krankenversorgung wahrnehmen. Deren Organisation unterliegt nicht ohne weiteres den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die im Bereich der Selbstverwaltung wissenschaftsrelevanter Angelegenheiten und im Rahmen der Tätigkeit des Hochschullehrers in Forschung und Lehre gelten. Sie muss straffer sein, die Verantwortlichkeiten klar abgrenzen und rasche Entscheidungen ermöglichen.

Allerdings sind Forschung, Lehre und Krankenversorgung an Universitätsklinika untrennbar miteinander verknüpft. Deshalb darf das Grundrecht des medizinischen Hochschullehrers auf Wissenschaftsfreiheit auch bei seiner Tätigkeit in der Krankenversorgung nicht unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber muss deshalb bei der Organisation der Universitätsklinika zwischen der Wissenschaftsfreiheit einerseits und der bestmöglichen Krankenversorgung andererseits einen angemessenen Ausgleich finden. Insoweit eignen sich Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche und sachgerechte organisatorische Verzahnungen.

Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Regelungen die Bf nicht in ihrem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit. Hierbei kommt es nicht allein auf die Vorschrift über die Besetzung des Aufsichtsrats an. Ebenso ist von Bedeutung, ob die Regelungen über das Universitätsklinikum in ihrer Gesamtheit die Wissenschaftsfreiheit hinreichend berücksichtigen. Dies bejaht die Kammer. Sie führt im Einzelnen aus, dass die Klinikumsverordnung durch geeignete Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche einen Ausgleich zwischen der Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und den Organisationsanforderungen an die Krankenversorgung gewährleistet.

Dieser Ausgleich ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Regelungen verstoßen weiter auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Die Ungleichbehandlung zwischen den Professorinnen und Professoren und dem übrigen im Klinikum tätigen Personal hinsichtlich der Vertretung im Aufsichtsrat ist gerechtfertigt. Ihr Ausschluss von der Mitbestimmungsregelung ist zur Gewährleistung einer funktionierenden Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat geeignet, weil Professoren im Universitätsklinikum regelmäßig Leitungsfunktionen wahrnehmen.

Karlsruhe, den 3. Dezember 2002