Bundesverfassungsgericht

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Zur Beitragslast von sächsischen Arbeitnehmern für die soziale Pflegeversicherung

Pressemitteilung Nr. 48/2003 vom 27. Juni 2003

Beschluss vom 11. Juni 2003
1 BvR 190/00

Arbeitnehmer im Freistaat Sachsen werden durch die höheren von ihnen zu tragenden Beitragsanteile zur sozialen Pflegeversicherung im Vergleich zu Arbeitnehmern im übrigen Bundesgebiet nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise ungleich behandelt. Dies entschied die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts und hat zwei Verfassungsbeschwerden (Vb) von Arbeitnehmern im Freistaat Sachsen nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Zum Sachverhalt:

Versicherungspflichtige Beschäftigte, die in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert sind, und ihre Arbeitgeber tragen die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung jeweils zur Hälfte. Dies gilt aber nur, wenn der Beschäftigungsort in einem Land liegt, in dem ein gesetzlicher landesweiter Feiertag, der stets auf einen Werktag fällt, aufgehoben worden ist. Dadurch soll die Beitragsbelastung der Arbeitgeber kompensiert werden. Andernfalls haben die Beschäftigten - ausgehend vom gegenwärtigen Beitragssatz von 1,7 % - einen Anteil von 1,35 %, die Arbeitgeber von 0,35 % des maßgebenden Arbeitsentgelts zu tragen. Alle Länder mit Ausnahme des Freistaats Sachsen haben einen Feiertag, den Buß- und Bettag, aufgehoben. Die beiden Beschwerdeführer (Bf) sind Angestellte in Chemnitz und beide in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Sie wurden beide mit höheren als hälftigen Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung belastet. Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit blieben sie in allen Rechtszügen mit ihrem Begehren, die hälftige Beitragstragung zu erreichen, ohne Erfolg. Mit ihrer Vb greifen die Bf die ergangenen sozialgerichtlichen Entscheidungen sowie die zugrunde liegende Regelung im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), nämlich § 58 Abs. 3 SGB XI an. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Vb zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Vb haben keine Aussicht auf Erfolg. Weder § 58 Abs. 3 SGB XI noch die angegriffenen sozialgerichtlichen Entscheidungen verletzen den allgemeinen Gleichheitssatz.

Zwar werden die in Sachsen beschäftigten Bf im Vergleich zu in anderen Ländern Beschäftigten ungleich behandelt. Sie haben höhere Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung gegenüber den Beschäftigten in anderen Ländern zu tragen. Dieser Nachteil wird auch nicht vollständig durch die Erhaltung eines weiteren Feiertags mit Lohnfortzahlungsanspruch kompensiert. Die Beitragsmehrbelastung der Bf ist dem Bundesgesetzgeber zuzurechnen. Ihm stand die Gesetzgebungskompetenz für diese Regelung zu. Denn er ist für die Schaffung der sozialen Pflegeversicherung als einem neuen Zweig der Sozialversicherung zuständig. Dies schließt auch den Erlass von Vorschriften über die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung durch Erhebung von Beiträgen ein. Zwar besitzen die Länder die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Feiertagsrechts. Bei § 58 Abs. 3 SGB XI handelt es sich aber nicht um eine Materie des Feiertagsrechts. Die Vorschrift soll die Länder lediglich anstoßen, einen gesetzlichen landesweiten Feiertag, der stets auf einen Werktag fällt, aufzuheben. Die von den Bf gerügte Ungleichbehandlung ist durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Die höhere Beitragsbelastung von in Sachsen Beschäftigten wird durch die Beibehaltung der bisherigen Feiertagsregelung ohne Arbeitsleistung jedenfalls teilweise kompensiert. Nach dem Vortrag eines Bf verbleibt es zwar bei einer Kompensationslücke von etwa 40 Euro im Jahr. Dies ist angesichts des Nutzens der Einführung der sozialen Pflegeversicherung für alle versicherungspflichtig Beschäftigten jedoch hinzunehmen. Die Kammer verweist insoweit darauf, dass das Finanzierungskonzept des Gesetzgebers mehrere Aspekte berücksichtigen musste: die Kompetenz der Länder zur Feiertagsregelung, den in einigen Regionen deutlich geäußerten Wunsch nach Beibehaltung des Buß- und Bettags als gesetzlichen Feiertag sowie eine in allen Ländern greifende Entlastung der Arbeitgeber bei Belastung der Arbeitnehmer. Dass hierbei die Beschäftigten im Ergebnis jedenfalls finanziell nicht vollständig gleich belastet werden, ist in Anbetracht der Gesamtregelung und der Notwendigkeit einer Absicherung des Pflegerisikos zumutbar.

Karlsruhe, den 27. Juni 2003