Bundesverfassungsgericht

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Dolmetscherkosten im Strafverfahren

Pressemitteilung Nr. 92/2003 vom 7. November 2003

Beschluss vom 07. Oktober 2003
2 BvR 2118/01

Ein der deutschen Sprache nicht mächtiger tschechischer Staatsangehöriger (Beschwerdeführer; Bf), der sich gegen die Auferlegung von im Ermittlungs- und Hauptverfahren entstandenen Übersetzungskosten im Rahmen der Telefonüberwachung und Briefkontrolle wehrte, hat mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) vor dem Bundesverfassungsgericht einen Teilerfolg errungen. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts sowie den Kostenansatz des Kostenbeamten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht aufgehoben, soweit dem Bf hierdurch die Kosten der im Rahmen der Briefkontrolle angefallenen Dolmetschertätigkeit auferlegt worden sind, weil die Entscheidungen den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Sache wurde an den Kostenbeamten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wurde die Vb nicht zur Entscheidung angenommen.

Zum Sachverhalt:

Der Bf wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Ihm wurden die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen auferlegt. Zuvor hatte er sich in Untersuchungshaft befunden. Nach Abschluss des Verfahrens verlangte die Staatsanwaltschaft vom Bf die Kosten für die Übersetzung von im Rahmen einer Telefonüberwachung aufgezeichneten Gesprächen in Höhe von über 8.000 DM. Weiter sollte er über 11.000 DM für die im Rahmen der Briefkontrolle angefallenen Übersetzungskosten für Briefe, die er während der Untersuchungshaft an seine Familie gesandt hatte, zahlen. Rechtsmittel dagegen blieben erfolglos. Mit seiner Vb macht der Bf einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geltend. Er werde wegen seiner Sprache benachteiligt. Außerdem sei sein Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren verletzt.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

1. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet grundsätzlich die Schlechterstellung von in Untersuchungshaft befindlichen fremdsprachigen Angeklagten bei den Kosten der Briefkontrolle und Besuchsüberwachung, nicht jedoch die Auferlegung der Kosten für die Übersetzung der Telefonüberwachungsprotokolle. Die Dolmetscherkosten sind unmittelbare Folge der mangelnden Sprachkenntnisse, wenngleich die Überwälzung dieser Kosten aufgrund der allgemeinen nicht an die Sprache anknüpfenden Kostenvorschrift der Strafprozessordnung erfolgt. Zwar ist die Auferlegung der Kosten des Strafverfahrens grundsätzlich gerechtfertigt, wenn der Angeklagte verurteilt und damit das staatliche Strafverfolgungsinteresse bestätigt wird. Aber es erleidet nur der fremdsprachige Verurteilte im Verhältnis zum deutschen in vergleichbarer Situation einen Nachteil aufgrund seiner Sprachunkundigkeit. Er kann keinen kostenlosen Briefkontakt halten. Der in Untersuchungshaft befindliche Beschuldigte wird hier in einem sensiblen Grundrechtsbereich betroffen: Es geht um die Freiheit seiner Person, das Recht auf unüberwachten und unkontrollierten Briefverkehr und, soweit familiäre Kontakte betroffen sind, um das Recht auf Ehe und Familie. Dies erklärt die unterschiedliche Behandlung der hier in Rede stehenden Kostenarten: Bei der Brief- und Besuchskontrolle entzieht der Staat dem inhaftierten Beschuldigten die Möglichkeit, kostenfrei Kontakt zur Außenwelt zu halten, und verweigert ihm dieses einem deutschen Beschuldigten gewährte Recht. Die Telefonüberwachung und nachfolgende Übersetzung der Protokolle sind hingegen notwendige Ermittlungshandlungen zur Aufklärung einer Straftat, die deutsche Beschuldigte oder ausländische, aber der deutschen Sprache mächtige Beschuldigte, die fremdsprachige Telefonate führen, in gleicher Weise treffen können.

Einschränkungen des Diskriminierungsverbots können durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. Der Erlass von Strafnormen und deren Anwendung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben. Kommt es dabei zu Konflikten mit Rechten des Beschuldigten, ist ein Ausgleich durch Abwägung der gegenläufigen Interessen herzustellen. Ist dies nicht möglich, so muss im jeweiligen Einzelfall entschieden werden, welches Interesse zurückzutreten hat. Zweck der Untersuchungshaft wie auch der Brief- und Besuchskontrolle ist die Sicherung des Verfahrens. Der Brief- und Besuchsverkehr darf zu diesem Zweck eingeschränkt werden. Der Besuchsverkehr ist jedoch bereits aus Gründen der Anstaltssicherheit und -ordnung so stark reglementiert, dass die mangelnden Sprachkenntnisse des Inhaftierten nicht zu einer noch weitergehenden Einschränkung des Besuchsrechts führen dürfen. Die Übersetzungskosten im Rahmen des Besuchs- und Briefverkehrs sind also regelmäßig vom Staat zu übernehmen. Unverhältnismäßig hohe oder objektiv überflüssige Übersetzungskosten können jedoch unter Umständen dem Zweck der Untersuchungshaft zuwiderlaufen. Nicht in jedem Fall ist eine Übersetzung erforderlich. Die pauschale Anordnung der Übersetzung ist deshalb grundsätzlich nicht zulässig. Die Übersetzung muss zunächst in jedem Fall ermessensfehlerfrei angeordnet werden. Dabei kann es auf den Haftgrund und den Adressaten des Briefs ankommen. Erst dann stellt sich die ebenfalls einzelfallabhängige Frage, in welchem Umfang die anfallenden Übersetzungskosten vom Staat zu tragen sind. Eine generelle Begrenzung etwa von einem Brief pro Woche ist nicht möglich. Jedenfalls besteht eine Hinweispflicht, dass der Inhaftierte gegebenenfalls Übersetzungskosten selbst zu tragen hat. Im vorliegenden Fall wurde offenbar ohne jeglichen Hinweis an den Bf die Übersetzung sämtlicher Briefe angeordnet. Deshalb sind die Entscheidungen hinsichtlich der für die Briefkontrolle entstandenen Übersetzungskosten aufzuheben.

2. Die Grundsätze des fairen Verfahrens sind durch die Überbürdung der Übersetzungskosten für die Telefonüberwachungsprotokolle nicht verletzt. Das Recht auf ein faires Verfahren verbietet es, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können. Im Strafverfahren werden ihm deshalb Übersetzungshilfen gewährt. Die Kosten hierfür werden nach der Strafprozessordnung - im Einklang mit Art. 6 Abs. 3 e Menschenrechtskonvention (MRK) - auch dem Verurteilten nur ausnahmsweise auferlegt. Es ist verfassungsrechtlich aber nicht geboten, jedwede Inanspruchnahme von Dolmetschern gegenüber fremdsprachigen Beschuldigten als unentgeltlich zu behandeln. Art. 6 Abs. 3 MRK will dem fremdsprachigen Angeklagten Mindestrechte gewährleisten, um ihm die Beteiligung an der auf Deutsch geführten Verhandlung zu ermöglichen. Mit dieser Gewährleistung hat das Interesse der Ermittlungsbehörden an übersetzten Telefonmitschnitten einer Telefonüberwachungsmaßnahme nichts zu tun.

Karlsruhe, den 7. November 2003