Bundesverfassungsgericht

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Informationen zur mündlichen Verhandlung zu den Verfahren „Ökosteuer“

Pressemitteilung Nr. 95/2003 vom 13. November 2003

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 2. Dezember 2003 die Verfassungsbeschwerden (Vb) von gewerblichen Kühlhausunternehmen und Spediteuren (Beschwerdeführer; Bf) betreffend die so genannte Ökosteuer (vgl. Pressemitteilung Nr. 81/ 2003 vom 13. Oktober 2003).

Mit dem Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999 hat der Gesetzgeber zunächst eine Stromsteuer eingeführt, die bestehende Mineralölsteuer auf Kraftstoffe, Heizöl, Flüssiggas und Erdgas aufgestockt, sodann durch das zum 1.1.2000 in Kraft getretene Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16. Dezember 1999 den Strom- und Mineralölsteuertarif jeweils zum 1. Januar 2000, 2001, 2002 und 2003 stufenweise erhöht und schließlich mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform vom 23. Dezember 2002 unter anderem Steuervergünstigungen für das produzierende Gewerbe mit Wirkung zum 1. Januar 2003 abgeschmolzen. Mit der Einführung einer Strom- und der Erhöhung der Mineralölsteuer sucht der Gesetzgeber umwelt- und arbeitsmarktpolitische Ziele zu erreichen. Energie sollte verteuert und Arbeit durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verbilligt werden. Die Rentenversicherungsbeiträge sind im Jahr 1999 um 0, 8 Prozent auf 19, 5 Prozent, in den Jahren 2000 und 2001 jeweils um weitere 0, 2 Prozent gesenkt worden. Zum 1.1.2003 ist der Rentenversicherungsbeitrag wieder auf 19, 5 Prozent gestiegen.

1. Gegenstand der Vb der Kühlhausunternehmen ist die Regelung, wonach Strom, den ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft jenseits einer Steuerlast von 1000 DM bzw. 512 Euro im Kalenderjahr (Selbstbehalt/Sockelbetrag) für betriebliche Zwecke entnimmt, ermäßigt besteuert wird, wohingegen Strom, der von Unternehmen der Dienstleistungsbranche - hier die Bf als zwei gewerbliche Kühlhausunternehmen - dem stromsteuerlichen Regelsatz unterworfen ist. Weiter greifen die Bf die so genannte Härteklausel an. Danach erhalten Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die durch die (ermäßigte) Stromsteuer stärker belastet als durch die zeitgleich zum 1. April 1999 in Kraft getretene Rentenreform entlastet wurden, eine zusätzliche Entlastung (Spitzenausgleich).

Die Bf machen mit ihrer Vb die Verletzung der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geltend. Zu den gewerblichen Kühlhäusern würden solche gezählt, die als Dienstleister Kühlhauskapazitäten bereit hielten für produzierende Unternehmen, die auf die Lagerung temperaturgeführter Produkte angewiesen seien. Im Gegensatz dazu lagerten produzierende Unternehmen in betrieblichen Kühlhäusern eigene Ware. Bei gewerblichen wie betrieblichen Kühlhäusern sei die wirtschaftliche Tätigkeit der Lagerung der temperaturgeführten Produkte völlig identisch. In Deutschland würden insgesamt ca. 498 Kühlhäuser betrieben, diese verteilten sich gegenwärtig nahezu hälftig auf gewerbliche und betriebliche Kühlhäuser. Die steuerliche Verschiedenbehandlung von gewerblichen Kühlhäusern und betrieblichen Kühlhäusern des produzierenden Gewerbes oder der Land- und Forstwirtschaft sei nicht gerechtfertigt.

- 1 BvR 1748/99 -

2. Gegenstand der Vb der Spediteure ist die Erhöhung der Mineralölsteuer auf Kraftstoffe zum 1. April 1999 sowie jeweils zum 1. Januar 2000, 2001, 2002 und 2003 um jeweils 6 Pfennig (3,07 Cent) je Liter. Ferner wendet sich die Vb dagegen, dass bestimmten Verkehrsträgern - bei der Verwendung von Mineralöl als Treibstoff - und den Unternehmen des produzierenden Gewerbes - bei der Verwendung von Mineralöl als Heizöl-, nicht aber Dienstleistungsunternehmen Steuervergünstigungen gewährt werden. Die Bf sind fünf im Güterverkehrsgewerbe tätige Unternehmen. Sie rügen mit ihrer Vb die Verletzung der Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Vorschriften verstießen gegen allgemeine Grundsätze des Finanzverfassungsrechts und des Rechtsstaatsprinzips. Weiter verletzten sie den Gleichheitssatz als steuerrechtliche Kerngarantie. Die Verkehrsbranche sei als einzige nicht - produzierende Branche von der steuerlichen Belastung des Energieverbrauchs außerordentlich betroffen. Die bestehenden Sondervergünstigungen für andere Verkehrsträger und produzierende Unternehmen führten zu einer Diskriminierung des Verkehrsgewerbes.

- 1 BvR 905/00 -

3. Zu den Verfahren haben bisher das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung und der Bundesfinanzhof Stellung genommen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht fast 40 Verbänden und Instituten Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Von dieser Möglichkeit haben der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Bund der Steuerzahler e.V., das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI), das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie, die Aktionsgemeinschaft wirtschaftlicher Mittelstand (AWM), der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels, der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V., der Verband der Elektrizitätswirtschaft e.V., der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) sowie der Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA) Gebrauch gemacht. Überdies wurde 86 Industrie- und Handelskammern ein Fragenkatalog übermittelt, den 56 Kammern beantwortet haben.

Karlsruhe, den 13. November 2003