Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Bund-Länder-Streit zwischen Mecklenburg-Vorpommern und der Bundesrepublik Deutschland

Pressemitteilung Nr. 101/2003 vom 23. Dezember 2003

Beschluss vom 07. Oktober 2003
2 BvG 1/02

Das Bundesverfassungsgericht ist befugt, eine ihm vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vorgelegte verfassungsrechtliche Bund- Länder-Streitigkeit abschließend zu entscheiden. Der Rechtsstreit zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Bundesrepublik Deutschland über die Erstattung eines Betrags von umgerechnet ungefähr 15 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Zuordnung von Finanzlasten ist eine solche verfassungsrechtliche Streitigkeit. Das vom Land Mecklenburg-Vorpommern verfolgte Erstattungsbegehren ist wegen Fristversäumung unzulässig und bleibt damit ohne Erfolg. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen einer Vorlage durch das BVerwG und eines Bund-Länder-Streit-Verfahrens.

1. Zum Sachverhalt:

Der Bund hat dem Land Mecklenburg-Vorpommern zur Durchführung einer inzwischen aufgehobenen europarechtlichen Verordnung Gemeinschaftsmittel in Höhe von rund 675 Millionen DM zur Verfügung gestellt, die in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht zu bewirtschaften waren. Nach Kontrollen ging die Kommission der Europäischen Gemeinschaften von Kontroll- und Verwaltungsmängeln aus. Sie schloss deshalb im Ergebnis einen Betrag von 5 Prozent von der Gemeinschaftsfinanzierung aus und verlangte vom Bund Zahlung des sich daraus ergebenden Betrags von über 30 Millionen DM, die der Bund im Oktober 1999 entrichtete.

Vom Land Mecklenburg-Vorpommern forderte der Bund im November 1999, ihm den an die Kommission geleisteten Betrag zu erstatten. Das Land leistete im Dezember 1999 den geforderten Betrag, allerdings unter dem Vorbehalt einer zukünftigen generellen Lösung der Anlastungsproblematik auf Bund- Länder-Ebene und andernfalls unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Bestätigung seiner Zahlungsverpflichtung. Im März 2001 hat das Land Klage zum BVerwG auf Rückzahlung eines Teils des vom ihm geleisteten Betrags erhoben. Seine Zahlung sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Das BVerwG hat im Mai 2002 die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Nach seiner Überzeugung ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht gegeben. Daraufhin hat das Land im Mai 2002 beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung beantragt, dass die Erstattungsaufforderung des Bundes seine verfassungsrechtlichen Rechte verletze.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Für Bund-Länder-Streitverfahren kommen zwei gerichtliche Zuständigkeiten in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht. Dabei muss es sich um verfassungsrechtliche Rechtspositionen handeln. Demgegenüber entscheidet das BVerwG im ersten und letzten Rechtszug über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern.

Für die Abgrenzung kommt es auf den Charakter des Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Land an. Abzustellen ist auf das verfassungsrechtliche Grundverhältnis. Die Beteiligten streiten hier über die Zuordnung von Finanzlasten dem Grunde nach und die Frage, ob der Bund in einem Fall wie dem vorliegenden gegenüber der Gemeinschaftsebene ohne die Möglichkeit des Rückgriffs beim Land abschließend einzustehen hat oder nach nationalem Verfassungsrecht das betroffene Land dem Bund gegenüber zum Ausgleich verpflichtet ist. Das Land hält eine verschuldensunabhängige Verwaltungshaftung für ausgeschlossen und beruft sich auf einen im Verfassungsrecht wurzelnden (Abwehr-) Anspruch. Damit geht es um Rechte und Pflichten in ihrem verfassungsrechtlichen Grundverhältnis aus Art. 104 a GG.

Das Bundesverfassungsgericht ist für die abschließende Entscheidung der ihm vorliegenden verfassungsrechtlichen Streitigkeit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zuständig. Bei der Vorlage des BVerwG handelt es sich um keine Verweisung. Die damit einhergehende Bindungswirkung wäre mit der Verfassungsorganstellung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar. Für die Befugnis zur abschließenden Entscheidung der vorgelegten Streitigkeit in der Sache spricht vor allem der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung.

Handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Bund-Länder-Streitigkeit, müssen auch die Sachurteilsvoraussetzungen für diese Verfahrensart vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben sein. Ein solcher Antrag muss binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden. Die Antragsfrist kann auch nicht durch Anrufung des unzuständigen BVerwG umgangen werden. Zwar ist die Anrufung des BVerwG im Bund-Länder-Streit an keine gesetzliche Frist gebunden. Das Fristerfordernis für den Bund- Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht ist jedoch auf die Erhebung einer Klage vor dem BVerwG zu übertragen, sofern das Klagebegehren unmittelbar vor dem Bundesverfassungsgericht hätte verfolgt werden müssen. Dies liegt im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden und dient der Vermeidung von Missbrauch und Umgehung.

Die sechsmonatige Frist hat das Land Mecklenburg-Vorpommern mit der Anrufung des BVerwG versäumt. Insoweit kam es auf die an das Land gerichtete Zahlungsaufforderung des Bundes vom November 1999 an. Bei der Sechsmonatsfrist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nur in Verfassungsbeschwerde-Verfahren gegen Gerichtsentscheidungen in Betracht.

Danach ist auch der beim Bundesverfassungsgericht im Mai 2002 eingegangene Antrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern verfristet. Auch er wurde deshalb als unzulässig verworfen.

Karlsruhe, den 23. Dezember 2003