Bundesverfassungsgericht

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Zum rechtlichen Gehör bei Wohnungsdurchsuchungen

Pressemitteilung Nr. 20/2004 vom 27. Februar 2004

Beschluss vom 05. Februar 2004
2 BvR 1621/03

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) einer Richterin (Beschwerdeführerin; Bf), die sich gegen die Durchsuchung ihrer Wohnung zur Wehr setzt, einen Beschluss des Landgerichts (LG) Karlsruhe aufgehoben, mit dem die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung abgelehnt worden ist. Der Beschluss des LG verletzt das Recht der Bf auf rechtliches Gehör. Die Sache wird an das LG zurückverwiesen.

1. Zum Sachverhalt:

Seit Mitte Juli 2002 wurde gegen zwei Beschuldigte wegen der Planung eines Anschlags auf eine US-Einrichtung in Heidelberg oder die Heidelberger Innenstadt ermittelt. Am 5. September 2002 wurde bei der Durchsuchung der Wohnung der beiden Beschuldigten belastendes Material gefunden. Sie wurden vorläufig festgenommen. Einer von ihnen wurde von zwei Polizeibeamten vernommen. Die Ermittlungsakten wurden am Vormittag des 6. September 2002 der Bf als Ermittlungsrichterin mit Anträgen auf Erlass von Haftbefehlen zugeleitet. Ein Rechtsanwalt übernahm kurzfristig die Verteidigung des von den Polizeibeamten vernommenen Beschuldigten und erschien ohne vorherige Anmeldung, als dessen Vernehmung durch die Bf gegen 12.00 Uhr schon begonnen hatte. Die Vernehmung endete gegen 12.30 Uhr. Die Bf erließ Haftbefehle gegen beide Beschuldigte.

Zwischen 12.30 Uhr und 14.30 Uhr riefen ein für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" tätiger Reporter und später auch ein Reporter des Nachrichtenmagazins "Focus" in der Kanzlei des Rechtsanwalts an und erkundigten sich nach dem Ermittlungsverfahren. Seit 18.15 Uhr berichtete eine Nachrichtenagentur mit Verweis auf Berichte einer Tageszeitung und eines Fernsehsenders über die Ermittlungen. Beamte des Bundeskriminalamtes suchten in den Nachmittagsstunden des 6. September 2002 zwei mal erfolglos die Wohnung eines mit einem der Beschuldigten bekannten Zeugen auf, um diesen zu vernehmen. Dieser wandte sich tags darauf aus eigenem Antrieb an die Polizei.

Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses auf. Sie erfuhr, dass die Bf und der Reporter des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" einander persönlich bekannt waren. Daraufhin richteten sich die Ermittlungen gegen die Bf als Beschuldigte. Die Ermittlungen blieben ohne Ergebnis. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht Karlsruhe ohne Erfolg Beschlüsse zur Durchsuchung der Wohnung und des Dienstzimmers der Bf. Der Kreis der möglichen Informanten der Presse sei zu groß, um einen konkreten Tatverdacht gegen die Bf begründen zu können. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft ordnete das LG am 28. Januar 2003 die Durchsuchung der Wohnung und des Dienstzimmers der Bf an und zugleich die Beschlagnahme ihrer Computer, von Ablichtungen aus den Ermittlungsakten und von Einzelverbindungsnachweisen ihres Mobiltelefons. Die Durchsuchungen blieben ergebnislos. Das LG lehnte auf die Beschwerde der Bf die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung ab.

Mit ihrer gegen die Durchsuchung der Wohnung gerichteten Vb macht die Bf die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 13 Abs. 1, 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie aus Art. 103 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG geltend.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Vb ist offensichtlich begründet. Der die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung ablehnende Beschluss des LG verletzt das Recht der Bf auf rechtliches Gehör. Das LG hätte der Bf auf ihren Rechtsbehelf hin rechtliches Gehör gewähren müssen. Für die Bf ging es dabei nach einem besonders schweren Eingriff in ihre persönliche Lebenssphäre um den ersten Zugang zum Gericht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Der wesentliche, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienende Vortrag muss aber in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Das Maß der Erörterungspflicht des Gerichts hängt nicht nur von der Bedeutung des Vortrags der Beteiligten für das Verfahren, sondern auch von der Schwere des zur Überprüfung gestellten Grundrechtseingriffs ab.

Aus dem angegriffenen Beschluss des LG geht nicht hervor, dass das LG nach einem empfindlichen Grundrechtseingriff das wesentliche Verteidigungsvorbringen der Bf zwar erwogen, aber als unwesentlich beurteilt hätte. Die Bf hat die Anforderungen, die eine mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung zu vereinbarende Durchsuchungsanordnung zu wahren hat, substantiiert in Frage gestellt. Insbesondere wandte sie sich gegen die Annahme eines gegen sie gerichteten Tatverdachts. Das LG würdigte den Vortrag der Bf nicht und brachte in seiner Begründung zum Ausdruck, dass ungeprüft bleiben könne, ob der diesbezügliche Vortrag der Bf inhaltlich zutreffe. Denn die Durchsuchungsanordnung werde durch die nunmehr in den Schriftsätzen von der Bf vorgetragenen Tatsachen nicht im Nachhinein rechtswidrig. Die Bf stützt ihre Einwendungen gegen die Durchsuchungsanordnung jedoch ausnahmslos auf bereits zu jener Zeit aktenkundige Tatsachen. Sie greift die Durchsuchungsanordnung gerade damit an, dass der zur Zeit der Anordnung vorliegende Akteninhalt einen Tatverdacht nicht rechtfertigen konnte.

Angesichts der gewichtigen Auswirkungen der Durchsuchung auf die Privatsphäre und auf die berufliche Stellung der Bf hätte sich das LG eingehend mit dem Vortrag der Bf befassen müssen. Dies hat es unterlassen. Dadurch ist der Anspruch der Bf auf rechtliches Gehör verletzt worden. Die Bf hat vorgetragen, die behauptete Observation des Zeugen sei überhaupt nicht geplant gewesen. Auf diesen Einwand hin wäre zu prüfen und erörtern gewesen, ob ein wichtiges öffentliches Interesse durch die Information der Presse gefährdet worden war. Weiter lässt der Beschluss des LG nicht erkennen, dass es sich mit der Reihe von Einwendungen befasst hätte, die die Bf gegen die Annahme eines Verdachts ihrer Täterschaft gerichtet hat. So gaben ihre Einwände Anlass zu erörtern, ob nicht eine Informationsquelle nahe liegt, die entweder alle genannten Empfänger versorgt hat oder einen Empfänger, der -wie eine Tageszeitung oder eine Nachrichtenagentur- an sofortiger Veröffentlichung interessiert war. Das vom LG angenommene Eilbedürfnis lag keineswegs auf der Hand. Vielmehr spricht der Verlauf der Ermittlungen gegen eine Eilbedürftigkeit, die einer gründlichen Verwertung des Akteninhalts zur Prüfung eines Tatverdachts entgegengestanden hätte.

Ob der zuvor ergangene Durchsuchungsbeschluss des LG den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, wird das LG nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zu prüfen haben. Das Bundesverfassungsgericht kann sich einer Überprüfung der Durchsuchungsanordnung erst annehmen, wenn das fachgerichtliche Verfahren abgeschlossen ist.

Karlsruhe, den 27. Februar 2004