Bundesverfassungsgericht

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Auslieferung nach Italien

Pressemitteilung Nr. 24/2004 vom 10. März 2004

Beschluss vom 03. März 2004
2 BvR 26/04

Die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines serbischen Staatsangehörigen (Beschwerdeführer; Bf), der sich gegen seine Auslieferung nach Italien zum Zwecke der Vollstreckung eines in seiner Abwesenheit ergangenen Strafurteils und die Fortdauer der Auslieferungshaft wehrt, hatte teilweise Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main aufgehoben, soweit in ihm die Auslieferung des Bf für zulässig erklärt wird, weil er insoweit in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 25 des Grundgesetzes verletzt wird. Die Sache wird insoweit zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Vb nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Zum Sachverhalt:

Gegen den Bf wurde im Januar 2003 auf Grund eines Ersuchens der italienischen Behörden vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. Die italienischen Behörden verweisen auf das Urteil des Landgerichts in Bologna, das gegen den Bf eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängt habe, weil er sich in der Zeit von Februar bis Mai 1997 in Italien zusammen mit anderen der Zuhälterei, Nötigung und Bedrohung schuldig gemacht habe. Der Bf habe sich bereits den Ermittlungen durch Flucht entzogen, als die Mitbeschuldigten im Februar 1997 festgenommen worden seien. Deshalb sei er persönlich nicht über das Strafverfahren informiert worden. In jeder Phase des Prozesses sei ein Pflichtverteidiger anwesend gewesen. Der Bf hält seine Auslieferung für unzulässig, weil er von dem in Italien gegen ihn geführten Strafverfahren nicht unterrichtet gewesen sei. Seit Juli 1999 habe er sich in Deutschland in Untersuchungshaft befunden. Im Februar 1997 sei er in Bosnien-Herzegowina gewesen, wofür er mehrere Unterlagen als Belege vorlegte. Die für den Wiedereinsetzungsantrag erforderlichen Nachweise habe er aus der Haft nicht binnen der Zehntagesfrist beschaffen können. Außerdem habe er das geforderte Anwaltshonorar nicht aufbringen können. Das OLG erklärte die Auslieferung des Bf für zulässig und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an. Hiergegen richtet sich die Vb. Der Bf rügt insbesondere die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG.

2. Die Kammer hat im wesentlichen ausgeführt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Auslieferung grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens eines ausländischen Strafurteils, zu dessen Vollstreckung der Verfolgte ausgeliefert werden soll, nicht nachzuprüfen. Die Gerichte dürfen jedoch und müssen unter Umständen von Verfassungs wegen prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zu Grunde liegenden Akte mit dem in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind. Zu den elementaren Anforderungen des Rechtsstaats zählt insbesondere mit Blick auf das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dass niemand zum bloßen Gegenstand eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden darf. Durch ein solches staatliches Handeln wäre die Menschenwürde des Einzelnen verletzt.

Anlass zu einer solchen Prüfung kann gerade bei einem ausländischen Strafurteil bestehen, das in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist. Aus der einschlägigen völkerrechtlichen Praxis ergibt sich zwar nicht, dass die Durchführung strafrechtlicher Abwesenheitsverfahren gegen den völkerrechtlichen Mindeststandard verstieße, wenn der Betroffene von dem gegen ihn anhängigen Verfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, sich ihm durch Flucht entzogen hat und im Verfahren von einem ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt werden konnte. Eine Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen, in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils ist aber dann von Verfassungs wegen unzulässig, wenn der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen.

Diesen Maßstäben entspricht die Entscheidung des OLG über die Auslieferung nicht.

Nach den Feststellungen des OLG haben die italienischen Justizbehörden den Bf persönlich weder über das Ermittlungsverfahren noch über den Strafprozess oder das Urteil jemals informiert. Das OLG geht davon aus, dass die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils erfolgen soll. Es hat dabei ausdrücklich offen gelassen, ob es sich um einen so genannten Fluchtfall handelt. Die Auslieferung hält es schon deshalb für zulässig, weil der Bf sich im nachhinein, nämlich nach Erlangung der Kenntnis von der Verurteilung während des Auslieferungsverfahrens in Italien, rechtliches Gehör hätte verschaffen und sich wirksam hätte verteidigen können. Dies sei zwar in Anbetracht der Regelungen des italienischen Strafprozessrechts zur Beweislast und der kurzen Frist für den Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich nicht möglich. Hier liege jedoch eine Ausnahme vor.

Einen solchen Ausnahmefall hat das OLG vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber nicht nachvollziehbar begründet. Für solche Besonderheiten ist auch nichts ersichtlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei Unkenntnis des Verfolgten von Strafverfahren, Hauptverhandlungstermin und Strafurteil die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils zur Sicherung des Rechts auf ein faires Verfahren regelmäßig nur dann zulässig, wenn die italienischen Strafverfolgungsbehörden eine Erklärung abgeben, dass dem Bf das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren gewährleistet werde. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls die Begründung des OLG, der Bf habe angesichts seiner Inhaftierung in Deutschland seit Juli 1999 ohne weiteres seine "Nichtentziehung" von der Kenntnisnahme der Verfahrenshandlungen in Italien nachweisen können, weil er seit Juli 1999 in Deutschland inhaftiert gewesen sei, nicht nachvollziehbar. Denn für die Unkenntnis des Bf von einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren ist diese Inhaftierung ohne Beweiskraft, weil die Festnahme der Mitbeschuldigten bereits lange zuvor, nämlich im Februar 1997, erfolgt ist. Der Bf hatte demnach nicht ausnahmsweise eine tatsächlich wirksame Möglichkeit, sich nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen. Da das OLG das Vorliegen eines Fluchtfalls bislang offen und die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags des Bf ungeprüft gelassen hat, ist auch nicht abzusehen, dass der Bf im Ergebnis keinen Erfolg haben wird.

Karlsruhe, den 10. März 2004