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Rechtsschutz gegen die Ermächtigung von Krankenhausärzten zur Teilnahme an vertragsärztlicher Versorgung

Pressemitteilung Nr. 87/2004 vom 22. September 2004

Beschluss vom 17. August 2004
1 BvR 378/00

Wird einem Krankenhausarzt die Ermächtigung erteilt, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen, können betroffene niedergelassene Vertragsärzte eine gerichtliche Überprüfung der Ermächtigung verlangen. Dies entschied die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren (Vb) eines niedergelassenen Facharztes (Beschwerdeführer; Bf), der Ermächtigungen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zuvor erfolglos beanstandet hatte. Die entgegenstehende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) wurde unter Zurückverweisung aufgehoben, weil sie den Bf in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt.

1. Zum Sachverhalt:

Neben zugelassenen Ärzten und medizinischen Versorgungszentren können nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) an der vertragsärztlichen Versorgung auch ermächtigte Ärzte und ärztlich geleitete Einrichtungen teilnehmen. Die Versorgung der gesetzlich Versicherten obliegt in erster Linie den freiberuflichen, in eigener Praxis tätigen Vertragsärzten. Fachärzte in Krankenhäusern können jedoch nach § 116 SGB V und der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte von den Zulassungsgremien zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten ermächtigt werden. Die Ermächtigung ist eine gegenüber der Zulassung nachrangige Form der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Sie wird nur erteilt, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs und Behandlungsmethoden oder die Kenntnisse dieser Krankenhausärzte nicht sichergestellt ist.

Der Bf - ein niedergelassener Facharzt für Radiologie und Strahlenheilkunde - hatte sich vor den Sozialgerichten dagegen gewandt, dass fünf Krankenhausärzten die Ermächtigung zur Erbringung von strahlentherapeutischen Leistungen erteilt worden war. Seine Konkurrentenklage hielt das BSG in letzter Instanz für unzulässig. Der Bf, der geltend gemacht hatte, in den letzten Jahren mehrere Mio. DM in seine Praxis investiert zu haben, könne gegen die Ermächtigung nicht klagen. Die maßgeblichen Vorschriften schützten allein das Interesse der Versicherten an einer möglichst leistungsfähigen und lückenlosen ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Lediglich in den Fällen willkürlicher Erteilung von Ermächtigungen sei eine Anfechtungsbefugnis niedergelassener Vertragsärzte anzuerkennen.

Mit seiner hiergegen erhobenen Vb rügt der Bf die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Er sei wirtschaftlich betroffen und müsse seine Betroffenheit vor den Gerichten geltend machen können. Andernfalls fände die Ermächtigung von Krankenhausärzten im rechtsfreien Raum statt.

2. Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor:

Das angegriffene Urteil ist mit dem Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Eine defensive Konkurrentenklage ausschließlich bei besonders schweren materiellen Mängeln der Begründetheit einer angefochtenen Ermächtigungsentscheidung zuzulassen, wird Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit nicht gerecht. Die Ermächtigung eines Krankenhausarztes derselben Fachrichtung und Qualifizierung greift in die Berufsausübungsfreiheit eines Vertragsarztes ein, der in demselben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbietet, indem sie die Erwerbsmöglichkeiten über das dem Vertragsarztrecht immanente Maß hinaus einschränkt. Bei einem regulierten Marktzugang können auch Einzelentscheidungen, die das erzielbare Entgelt beeinflussen, die Freiheit der Berufsausübung beeinträchtigen. Solche Eingriffe sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden. Diese Voraussetzungen müssen wegen ihrer Grundrechtsrelevanz gerichtlicher Nachprüfung unterliegen.

Zwar gewährt Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor Konkurrenz. Die Vertragsärzte haben aufgrund ihres Zulassungsstatus auch keinen Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit. Die Wettbewerbsposition und die Erträge unterliegen grundsätzlich dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen. Eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge hat, kann aber das Grundrecht der Berufsfreiheit beeinträchtigen, wenn sie im Zusammenhang mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel steht. Eine solche Situation ist im System des Vertragsarztrechts, insbesondere wegen der Zulassungsbeschränkungen und Deckelungen der Gesamtvergütung, gegeben.

Der Vertragsarzt muss zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit Einschränkungen seines Behandlungsspektrums ebenso hinnehmen wie Regelungen, die seine Niederlassungsfreiheit, seine Fallzahlen und seine Vergütung begrenzen. Diese Eingriffe können im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Gemeinwohlbelang der Sicherstellung der Versorgung der gesetzlich Versicherten gerechtfertigt werden. An diesem legitimen Zweck sind aber die jeweiligen Beschränkungen der Berufsfreiheit der im System tätigen Leistungserbringer auch zu messen. Kommt es durch hoheitliche Maßnahmen zu weiter gehenden Eingriffen in die gesetzlich durchstrukturierten Marktbedingungen, können die im System eingebundenen Leistungserbringer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein.

Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung erfordert die Befugnis des Grundrechtsträgers, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für die Erteilung einer Ermächtigung zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Die Einbindung der Vertragsärzte in das System der gesetzlichen Krankenversicherung, das ihnen einen Vorrang gegenüber anderen Ärzten garantiert, korreliert mit dem Anspruch auf Rechtsschutz bei Vernachlässigung der gesetzgeberischen Entscheidung durch die Zulassungsgremien. Die verfahrensmäßige Absicherung des Grundrechtsschutzes setzt nicht erst bei Willkür ein. Die entgegenstehende Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts überspannt die Darlegungslast zum Nachweis der Klagebefugnis.

Karlsruhe, den 22. September 2004