Bundesverfassungsgericht

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Tage der offenen Tür Verhandlungen des Ersten Senats am 15. und 16. März 2005

Pressemitteilung Nr. 10/2005 vom 28. Januar 2005

Im Rahmen der jährlich stattfindenden Tage der offenen Tür verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am

Dienstag, 15. März 2005,
und Mittwoch, 16. März 2005,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

folgende Verfahren:

1. Dienstag, 15. März 2005, 10.00 Uhr: Unterhalt für pflegebedürftige Mutter - 1 BvR 1508/96 -

Die pflegebedürftige Mutter der Beschwerdeführerin (Bf) lebte in den letzten vier Jahren vor ihrem Tod (1995) in einem Alten- und Pflegeheim. Da die Einkünfte der Mutter zur Begleichung der Heimpflegekosten nicht ausreichten, leistete ihr die Stadt Bochum als örtlicher Träger der Sozialhilfe laufende monatliche Hilfe in Höhe von insgesamt ca. 123.000,-- DM.

Die 1939 geborene Bf war seit ihrem 15. Lebensjahr berufstätig. Sie hatte bis zum Zeitpunkt ihrer betriebsbedingten Kündigung im Herbst 1996 aus ihrer Halbtagstätigkeit zuletzt ein Nettoeinkommen von ca. 1.100,-- DM monatlich erzielt. Der Ehemann der Bf, von dem sie seit 1994 ge- trennt lebt, ist technischer Angestellter und seit 1995 Rentner. Die kinderlosen Eheleute sind Eigentümer zu je ½ eines mit einem Vier- Familienhaus bebauten Grundstücks. Eine der vier Wohnungen bewohnt die Bf, die drei übrigen Wohnungen sind vermietet. Der Grundstücksanteil der Bf hat abzüglich der Belastungen einen Verkehrswert von 245.000,-- DM. Die monatlichen Belastungen für das Grundstück übersteigen die Nettoeinnahmen.

Die Stadt Bochum verklagte die Bf aus übergeleitetem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt. Die Klage vor dem Amtsgericht war erfolglos. Mit letztinstanzlichem Urteil stellte das Landgericht Duisburg eine Zahlungspflicht der Bf in Höhe von 123.306,88 DM fest. Zugleich verurteilte es die Bf, das Angebot der Stadt Bochum anzunehmen, wonach der vorgenannte Betrag als zinsloses Darlehen gewährt wird, das drei Monate nach dem Tod der Bf zur Rückzahlung fällig ist. Zudem wurde die Bf verurteilt, zur Sicherung des Darlehens eine Grundschuld in Höhe von 123.000,-- DM auf ihrem Miteigentumsanteil am Hausgrundstück zu bestellen.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde (Vb) rügt die Bf einen Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit sowie gegen die Eigentumsgarantie. Die ihr auferlegte Unterhaltsverpflichtung und Beleihung ihres Miteigentumsanteils mit einer Grundschuld überschreite ihre eigene Leistungsfähigkeit. Durch die Verurteilung sei ihr eigener Altersunterhalt gefährdet. Denn das Grundstück sei zum Zwecke der Altersabsicherung erworben worden. Außerdem habe mangels Leistungsfähig- keit für sie eine Barunterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer Mutter nicht bestanden. Die Begründung einer Unterhaltsverpflichtung durch darlehensweise Gewährung von Unterhalt sei nicht möglich.

2. Mittwoch, 16. März 2005, 10.00 Uhr: Telefonüberwachung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (§ 33 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Fassung der Änderung durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 2003) - 1 BvR 668/04 -

Das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) wurde in der Vergangenheit mehrfach novelliert. Dabei wurden die Aufgabenfelder der Polizei erheblich ausgeweitet. Den neuen Aufgaben war gemeinsam, dass die polizeiliche Tätigkeit nunmehr bereits im Vorfeld von Gefahren und Straftaten einsetzen konnte, ohne dass eine Verdichtung des Sachverhalts zu einer konkreten Gefahr bzw. einem Anfangsverdacht gegeben sein musste. Ende 2003 wurde die hier angegriffene Bestimmung des § 33 a eingefügt. Absatz 1 Nr. 2 und 3 dieser Vorschrift lauten wie folgt:

(1) Die Polizei kann personenbezogene Daten durch die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation erheben

  1. ...
  2. über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, wenn die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint sowie
  3. über Kontakt- und Begleitpersonen der in Nummer 2 genannten Personen, wenn dies zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung einer Straftat nach Nummer 2 unerlässlich ist.

Absatz 3 sieht für die Datenerhebung die Anordnung durch den Richter vor. Die Überwachung ist nicht nur auf die Telekommunikationsinhalte gerichtet, sondern bezieht gemäß § 33 a Abs. 2 Nr. 2 und 3 Nds. SOG auch die Telekommunikationsverbindungsdaten sowie die Standortkennung einer aktiv geschalteten Mobilfunkendeinrichtung ein. Damit werden auch Informationen darüber zugänglich, wer mit wem wann wie lange telefoniert, welche SMS Verbindung gewählt oder welche Verbindung im Internet benutzt hat. Nach § 30 Abs. 4 Nds. SOG ist die betroffene Person über die Datenerhebung zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung der Maßnahme möglich ist. § 30 Abs. 5 Nds. SOG benennt Ausnahmen von der Unterrichtungspflicht.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen § 33 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG. Die Norm verletze sein Fernmeldegeheimnis. Seine Telefongespräche könnten heimlich abgehört und aufgezeichnet werden, obwohl er unbescholten sei und ohne dass gegen ihn der Verdacht einer Straftat bestehe oder von ihm eine Gefahr ausginge. Auch sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sei verletzt. Ferner verletze die Regelung die Rechtsweggarantie. Da die Überwachung zu keiner Zeit mitgeteilt werde und sie auch nicht bemerkt werden könne, sei es unmöglich, während oder nach der Überwachung deren gerichtliche Kontrolle herbeizuführen.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an den Verhandlungen teilnehmen möchten, melden sich bitte schriftlich an (Postfach 1771, 76006 Karlsruhe, zu Händen Herrn Kambeitz; Fax: 0721/9101461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer für Rückfragen anzugeben.

Karlsruhe, den 28. Januar 2005