Bundesverfassungsgericht

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NPD-Demonstration am 8. Mai in Berlin nur unter Auflagen – Begründung der Ablehnung der einstweiligen Anordnung

Pressemitteilung Nr. 49/2005 vom 10. Juni 2005

Beschluss vom 06. Mai 2005
1 BvR 961/05

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 6. Mai 2005 den Antrag der "Jungen Nationaldemokraten", einer Jugendorganisation der NDP, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Diese hatte sich anlässlich einer für den 8. Mai 2005 in Berlin geplanten Demonstration gegen eine ihr erteilte versammlungsrechtliche Auflage hinsichtlich der Wegstrecke gewandt (Pressemitteilung Nr. 37/2005 vom 6. Mai 2005).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, der Beschwerdeführerin durch eine Auflage zu untersagen, den geplanten Aufzug am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbeizuführen. Insbesondere ist die Annahme der Behörde und der Gerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, nach den konkret feststellbaren Umständen sei zu besorgen, dass die Würde der jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft durch einen Aufzug beeinträchtigt werde, der unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" an dem Denkmal vorbeizieht. Durch dieses Motto würden die Millionen jüdischer Opfer des Nationalsozialismus zu Gegenständen eines Kultes degradiert und es würde ihnen zugleich abgestritten, dass die Kapitulation für die vom Nationalsozialismus verfolgten Juden ein Akt der Befreiung war.

2. Auch das Verbot, die Versammlung auf dem Platz des 18. März zu beenden, ist mit den Grundrechten der Beschwerdeführerin vereinbar. Behörde und Gerichte durften die vom Senat initiierte Veranstaltung mit dem Motto "Tag für Demokratie" bei der Entscheidung über Auflagen nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz einbeziehen und ihr Vorrang bei der Nutzung des Gebiets um das Brandenburger Tor gewähren.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Behörde der Versammlung der Beschwerdeführerin nicht allein aufgrund der zeitlichen Priorität ihrer Anmeldung den Vorrang eingeräumt hat. Die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder einer Versammlung werde zwar dem Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den Inhalten von Versammlungszwecken gerecht. Es könnten aber wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks, für eine andere Vorgehensweise sprechen. Die Ausrichtung allein am Prioritätsgrundsatz könnte im Übrigen dazu verleiten, Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten frühzeitig und auf Vorrat anzumelden und damit anderen potentiellen Veranstaltern die Durchführung von Versammlungen am gleichen Tag und Ort unmöglich zu machen. Allerdings würde der Prioritätsgrundsatz maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder vorwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern. Das Verwaltungsgericht sah hierfür vorliegend keine Anhaltspunkte. An diese Tatsachenfeststellung ist das Bundesverfassungsgericht gebunden. Dass die von der Beschwerdeführerin geplante Versammlung einen Anstoß zur Durchführung der später geplanten Veranstaltung zum "Tag für Demokratie" gegeben hat, rechtfertigt für sich allein nicht die Anwendung des Prioritätsgrundsatzes.

Es ist verfassungsrechtlich bedenkenfrei, dass die Gerichte in der Bedeutung des Ortes für die Verwirklichung des Zwecks der vom Senat initiierten Versammlung einen wichtigen Grund zum Abweichen vom Prioritätsgrundsatz gesehen haben. Sie sind davon ausgegangen, dass der Platz des 18. März unter anderem wegen seiner Nähe zum Brandenburger Tor besondere Bedeutung für eine Veranstaltung am Jahrestag der Kapitulation für die Darstellung und Würdigung der historischen Ursprünge für die Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen habe. Dieser Argumentation ist die Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Verfahren nicht entgegen getreten. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, warum sie zur Erreichung des Zwecks der von ihr angemeldeten Versammlung in vergleichbarer Weise auf diesen Ort angewiesen ist.

Karlsruhe, den 10. Juni 2005