Bundesverfassungsgericht

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Regelungen des Risikostrukturausgleichs verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 80/2005 vom 31. August 2005

Beschluss vom 18. Juli 2005
2 BvF 2/01

Die Regelungen des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Risikostrukturausgleich verwirklicht den sozialen Ausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz kassenübergreifend und bundesweit. Auch die Einbeziehung der ostdeutschen Versicherten in den gesamtdeutschen Solidarverband der gesetzlichen Krankenversicherung dient der Verwirklichung des für die Krankenversicherung charakteristischen sozialen Ausgleichs. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Damit war der Normenkontrollantrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen ohne Erfolg.

Rechtlicher Hintergrund:

In der Bundesrepublik Deutschland ist der überwiegende Teil der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sah bis 1994 nur sehr stark eingeschränkte Möglichkeiten der Wahl einer gesetzlichen Krankenkasse für die Versicherten vor. Im Regelfall war die Mitgliedschaft bei einer bestimmten Krankenkasse durch äußere Umstände, zum Beispiel den Sitz des Arbeitgebers, vorherbestimmt. Eine Folge dieser starren Mitgliederzuweisung waren Verwerfungen in der Mitgliederstruktur der einzelnen Krankenkassen: So hatten die Ersatz- und Betriebskrankenkassen vielfach einen hohen Anteil von jungen Menschen mit hohen Beitragsleistungen bei gleichzeitig geringer Leistungsinanspruchnahme unter ihren Versicherten, während vor allem die Ortskrankenkassen einen hohen Anteil von Menschen mit geringer Beitragsleistung bei gleichzeitig hoher Leistungsinanspruchnahme unter ihren Versicherten hatten. Diese unterschiedliche Risikoverteilung führte zu erheblichen Unterschieden im Beitragssatz der Krankenkassen von bis 7,5% bei einem nahezu gleichen Leistungsangebot.

Zur Förderung des Wettbewerbs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen mit dem Ziel einer verbesserten Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung entschloss sich der Gesetzgeber, ab 1994 Wahlmöglichkeiten der Versicherten zu schaffen bzw. zu steigern. Zugleich trug er den unterschiedlichen Risikoverteilungen unter den einzelnen Krankenkassen durch die Schaffung des so genannten Risikostrukturausgleichs Rechnung. Hierbei handelt es sich um ein komplexes Ausgleichsverfahren, an dem alle gesetzlichen Krankenkassen beteiligt sind. Nach Ermittlung der jeweiligen Mitgliederstruktur der einzelnen Krankenkasse wird dadurch unter Berücksichtigung von zuvor ermittelten Durchschnittswerten ein ausgleichender Finanztransfer unter den Krankenkassen bewirkt.

Ursprünglich war die Durchführung des Risikostrukturausgleichs nach Ost- und Westdeutschland getrennt. Mit der Abschottung der Ausgleichssysteme kam es zu einer gegenläufigen finanziellen Entwicklung in Ost und West. Die Krankenkassen in den neuen Ländern wurden auf der Einnahmenseite insbesondere durch die hohe Arbeitslosigkeit und einen hohen Rentenanteil belastet, während in einigen Leistungsbereichen die Ausgaben je Versichertem deutlich über dem Westniveau lagen. Defizitäre Entwicklungen und Beitragssatzerhöhungen im Osten waren die Konsequenz. Der Gesetzgeber reagierte hierauf mit der stufenweisen Einführung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs. Dieser führte zu einem finanziellen West-Ost-Transfer. Der Finanzkraftausgleich erreichte im Jahr 2001 ein Volumen von rund 1,5 Mrd. Euro, was zu einer durchschnittlichen Entlastung der ostdeutschen Krankenkassen von rund einem Beitragssatzpunkt führte. Die korrespondierende Belastung der Kassen im Westen belief sich auf 0, 19 Beitragssatzpunkte.

Der Risikostrukturausgleich wurde durch das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 10. Dezember 2001 (Reformgesetz) fortentwickelt, um Fehlentwicklungen des bisherigen Risikostrukturausgleichs zu korrigieren. Es hatte sich gezeigt, dass für die Kassen weiterhin Anreize bestanden, ihre Geschäftspolitik an unterschiedlichen Risiken zu orientieren. Die Ursache lag im Wesentlichen darin, dass der Risikostrukturausgleich verschiedene Krankheitszustände (Morbiditätsunterschiede), die einen unterschiedlichen Versorgungsbedarf mit sich bringen, nur indirekt über grobe Raster wie Alter und Geschlecht berücksichtigte. Eine Kasse konnte daher Beitragssatzvorteile erzielen, wenn sie viele gesunde und wenige - chronisch - kranke Versicherte hatte. Dieser Entwicklung begegnete der Gesetzgeber mit der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs ab dem 1. Januar 2007. Durch eine bessere Abbildung der Risikostrukturen einer Krankenkasse in einem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich soll für die Kasse der Nutzen einer Risikoselektion verringert werden.

Die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen haben sich im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sowohl gegen die gesamte Regelung des Risikostrukturausgleichs mit länderübergreifender Wirkung durch zwingendes Bundesgesetz als auch gegen seine Ausgestaltung, die gezielt Transfers von den Krankenkassen des alten Bundesgebiets zu denen des Beitrittsgebiets hervorrufe, gewandt. Zudem haben sie beantragt, das Reformgesetz vom 10. Dezember 2001 für nichtig zu erklären.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

A.

Die gesetzlichen Grundlagen des Risikostrukturausgleichs sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

I. Der Bund hat das Gesetzgebungsrecht für den Risikostrukturausgleich.

Die Einführung des Risikostrukturausgleichs ist als Maßnahme der Sozialversicherung Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Eine bundesgesetzliche Regelung war zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erforderlich (Art. 72 Abs. 2 GG). Eine in allen Landesteilen gleich funktionsfähige Sozialversicherung ist auf der Basis unterschiedlicher Ländergesetze praktisch kaum denkbar. Insbesondere die gleichheitsrechtlich gebotene bundesweite Angleichung der Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherungen lässt sich mit unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen nicht erreichen. Der Risikostrukturausgleich ist ein integraler Bestandteil der vom Bundesgesetzgeber im SGB V einheitlich normierten und aufeinander abgestimmten Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion wäre durch abweichende landesgesetzliche Regelungen gefährdet.

II. Die Bestimmungen der bundesstaatlichen Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) stehen dem Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht entgegen.

Dies ergibt sich insbesondere aus der Zusammenschau des besonderen rechtlichen Charakters des Sozialversicherungsbeitrags mit den von den Normen über das Finanzwesen verfolgten Zielen. Sozialversicherungsbeiträge zeichnen sich durch eine strenge grundrechtlich und kompetenzrechtlich begründete Zweckbindung aus. Die unter Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit zustande gekommene Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung vermag die Auferlegung nur solcher Geldleistungspflichten zu rechtfertigen, die ihren Grund und ihre Grenze in den Aufgaben der Sozialversicherung finden. Die erhobenen Geldmittel dürfen daher allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden. Demgegenüber tragen die Regelungen der Finanzverfassung Sorge dafür, dass Bund und Länder durch eine sachgerechte Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat finanziell in die Lage versetzt werden, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben eigenständig wahrzunehmen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Sozialversicherungsbeiträge wegen ihrer strengen Zweckbindung weder den Bund oder die Länder noch sonstige staatliche Aufgabenträger zu eigenverantwortlichen finanziellen Entscheidungen befähigen sollen. Für Bund und Länder handelt es sich um Fremdgelder, die der eigenen Haushaltsgewalt entzogen sind. Der grundrechtlich gebundene Sozialversicherungsbeitrag ist damit als indisponible Finanzmasse generell kein tauglicher Gegenstand finanzverfassungsrechtlicher Verteilungsmechanismen.

III. Auch Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG steht dem Risikostrukturausgleich nicht entgegen.

Nach Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG trägt der Bund die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung. Art. 120 GG ist eine reine Zuständigkeitsvorschrift, die das finanzwirtschaftliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelt. Mit der Zuweisung der alleinigen Finanzierungsverantwortung an den Bund will das Grundgesetz lediglich sicherstellen, dass die Länder vor Sozialversicherungslasten verschont werden. Die rechtlichen Beziehungen zu anderen Rechtsträgern werden von der Vorschrift nicht berührt. Art. 120 Abs. 1 GG ist insbesondere keine Anspruchsnorm zu Gunsten der Sozialversicherungsträger. Die ausgleichsverpflichteten Krankenkassen haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch gegen den Bund, sie durch Gewährung von Bundeszuschüssen zu Gunsten finanzschwacher Krankenkassen von eigenen Ausgleichspflichten freizustellen.

Die sich aus Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ergebende Stellung der Länder hat der Bund mit der Einführung des Risikostrukturausgleichs nicht verletzt. Die gesetzlichen Regelungen des Risikostrukturausgleichs begründen nämlich weder direkt noch indirekt eine Pflicht der Länder, Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung zu leisten. Auch wenn einzelne landesunmittelbare Krankenkassen auf Grund von Ausgleichspflichten in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollten, wird davon der finanzverfassungsrechtliche Status eines Landes nicht berührt, weil das Krankenkassenrecht eine finanzielle Einstandspflicht des Landes für eine "Not leidende" Krankenkasse nicht vorsieht.

IV. Im Verhältnis zur Gruppe der nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Steuerpflichtigen werden Gleichheitsrechte der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verletzt.

Die wesentlichen Ungleichbehandlungen werden nicht durch die Regelungen des Risikostrukturausgleichs herbeigeführt, sondern durch die - auf der Grundentscheidung des Sozialgesetzgebers beruhenden - Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung sowie durch die Regelungen über die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erhebung einkommensbezogener, dem sozialen Ausgleich und der Umverteilung dienender Beiträge. Danach haben insbesondere Beitragspflichtige mit hohen beitragspflichtigen Einnahmen und niedrigem Krankheitsrisiko (gute Risiken) Solidarlasten zu tragen, gleich leistungsfähige Steuerpflichtige, die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, aber nicht. Der Risikostrukturausgleich knüpft an die - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende - Grundentscheidung des Sozialgesetzgebers zur Abgrenzung des Mitgliederkreises und zur Beitragsfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung an. Er gestaltet nur die mit diesen Grundentscheidungen einhergehenden Ungleichbehandlungen dadurch gleichmäßiger aus, dass der sich zunächst innerhalb der einzelnen Kasse vollziehende Solidarausgleich kassenübergreifend bundesweit durchgeführt wird.

Soweit der kassenübergreifende und bundesweit wirkende Risikostrukturausgleich die Ungleichbehandlungen zwischen Beitragspflichtigen und Steuerpflichtigen fortführt, ist dies von sachlichen Gründen getragen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Grundgesetz gebietet dem Gesetzgeber nicht, den verfassungsrechtlich legitim sozialen Ausgleich jeweils an den Grenzen der einzelnen Krankenkassen enden zu lassen.

Auch die Einführung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dieser verwirklicht den Solidargedanken länderübergreifend. Für das vom Grundgesetz gebilligte System der gesetzlichen Krankenversicherung ist typisch, dass sich leistungsstärkere Mitglieder an den Kosten des Krankenversicherungsschutzes von leistungsschwächeren Mitgliedern ihrer größeren Leistungsfähigkeit entsprechend beteiligen. Derartige "Umverteilungen", wie sie der Risikostrukturausgleich im Verhältnis zu den Ostkassen vornimmt, sind daher keine Fremdlasten, die als Staatsaufgabe von Verfassungs wegen zwingend aus dem Steueraufkommen finanziert werden müssten. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung Ost mit der Deutschen Einheit zusammen hängen. Mit der Verwirklichung eines in Ost und West gleich hohen Versicherungsniveaus zu Beiträgen, die für alle Mitglieder tragbar sind, verwirklicht der Gesetzgeber den für die Krankenversicherung charakteristischen Gedanken des sozialen Ausgleichs im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz.

V. Im Verhältnis der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung untereinander liegt eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht vor.

Zwar bewirkt der Risikostrukturausgleich zwischen den einzelnen Versichertengruppen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung vielfältige Ungleichbehandlungen. Insbesondere haben die Mitglieder ausgleichsverpflichteter Krankenkassen höhere, die Mitglieder ausgleichsberechtigter Krankenkassen niedrigere Beiträge zu zahlen, als sie ohne Risikostrukturausgleich zu entrichten hätten. Die vom Risikostrukturausgleich ausgelösten Ungleichbehandlungen sind jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da der Gesetzgeber sein Ziel der Solidaritätssicherung durch einen kassenübergreifenden sozialen Ausgleich bei gleichzeitigem Wettbewerb zwischen den Krankenkassen mit verhältnismäßigen Mitteln verfolgte:

1. Die vom Risikostrukturausgleich eingesetzten Mittel sind zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet. Der Gesetzgeber durfte sich bei der Wahl der zu berücksichtigenden Ausgleichsfaktoren auf solche beschränken, von denen er annehmen konnte, dass sie die beabsichtigten Auswirkungen auf den Beitragssatz haben:

Mit den Ausgleichsfaktoren Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder, Alter und Zahl der Familienversicherten wird der klassische Solidarausgleich zwischen Einkommensstarken und Einkommensschwachen, Jungen und Alten, Alleinstehenden und Unterhaltspflichtigen kassenübergreifend umgesetzt. Ob die Ausgleichsfaktoren Alter, Geschlecht und Rentenbezug wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit geeignet sind, das Erkrankungsrisiko ausreichend abzubilden und so einen Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken sicher zu stellen, erscheint zwar fraglich. Dies kann jedoch dahin stehen, weil bei der Schaffung des Risikostrukturausgleichs negative Erkenntnisse nicht vorhanden waren. Der Gesetzgeber durfte die Entwicklung des neuartigen Ausgleichsinstruments zunächst abwarten und beobachten. Schließlich hat er durch den direkt morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ab 2007 auf die Entwicklungen reagiert.

Dass sich der Ausgleich nicht an der tatsächlichen Ausgabenlast einer Krankenkasse, sondern an standardisierten Ausgaben orientiert, ist ebenfalls legitim, da anderenfalls Wirtschaftlichkeitsanreize bei den Krankenkassen gemindert
würden.

Die Nichtberücksichtigung unterschiedlicher regionaler Kostenstrukturen ist ebenfalls verfassungsrechtlich zulässig. Nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen durfte der Gesetzgeber auf eine entsprechende Differenzierung verzichten. Die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten setzt nicht nur eine komplizierte Datenerhebung voraus, sondern verlangt die Beantwortung sehr schwieriger Fragen, auf die auch die gesundheitsökonomische Wissenschaft noch keine befriedigenden Antworten gefunden hat. Der West-Ost-Transfer stellt sich letztlich nur als Sonderfall
der fehlenden Berücksichtigung regionaler Differenzierung dar. Die durch größere Arbeitslosigkeit und geringere Durchschnittsverdienste im Osten bedingten Finanzkraftunterschiede zwischen den Kassen werden bundesweit durch den Finanzkraftausgleich beseitigt. Verfassungsrechtlich ist ein solcher Ausgleich unproblematisch, denn er dient dem Solidarausgleich zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung.

Soweit der Risikostrukturausgleich ostdeutschen Krankenkassen Vorteile belässt, die auf geringeren Leistungsausgaben beruhen, ist dies nicht zu beanstanden. Ursache für die geringeren Leistungsausgaben ist vor allem die geringere Vergütung der im Gesundheitsbereich tätigen Personen. Da sich aber die Vergütung der im öffentlichen Dienst beschäftigten Personen zunehmend dem Westniveau annähert und insgesamt eine zunehmende Angleichung der Leistungsausgaben festgestellt werden kann, folgt aus der fehlenden Differenzierung nicht die Sachwidrigkeit des Risikostrukturausgleichs. Hinzukommt, dass sich die entsprechende Belastung der westdeutschen Krankenkassen nur im Rahmen von bis zu 0,15 Beitragssatzpunkten bewegt.

2. Zum Risikostrukturausgleich existieren keine gleich wirksamen Mittel.

Insbesondere könnte ein völliger Verzicht auf einen Risikostrukturausgleich oder dessen Befristung den beabsichtigten Kassenwettbewerb nicht gewährleisten. In einem System ohne Risikostrukturausgleich ist es für eine Krankenkasse unter finanziellen Gesichtspunkten sehr viel attraktiver, die Zusammensetzung der Versicherten durch Risikoselektion (Anwerben von Menschen mit niedrigem Krankheitsrisiko) günstig zu gestalten, als positive Kosteneffekte durch Effizienzverbesserung zu generieren. Der Gesetzgeber wollte aber nicht einen Wettbewerb um die besten Risikoselektionsstrategien initiieren; die Kassen sollten vielmehr ermuntert werden, über Möglichkeiten der Effizienzverbesserung nachzudenken.

Auch die übrigen als Alternativen zum Risikostrukturausgleich diskutierten Maßnahmen stellen keine gleich wirksamen Mittel dar: Bei einer Festlegung von Belastungsobergrenzen, über die hinaus kein Transfer zwischen den Krankenkassen stattfinden soll, blieben Unterschiede in der Risikostruktur der Krankenkassen (verbunden mit unterschiedlichen Beitragssätzen) erhalten. Mit der Schaffung einer Einheitskrankenkasse wäre der Wettbewerbsgedanke nicht zu realisieren. Die Zahlung von Bundeszuschüssen würde lediglich zu einer Belastungsverlagerung auf die Allgemeinheit führen. Bei einem regionalisierten Risikostrukturausgleich blieben vor allem länderübergreifende
Unterschiede bestehen.

3. Mit dem Risikostrukturausgleich hat der Gesetzgeber auch eine angemessene Maßnahme ergriffen. Er führt nicht zu übermäßigen und damit unzumutbaren Belastungen der Mitglieder ausgleichspflichtiger Krankenkassen. Insbesondere steht die Belastung nicht außer Verhältnis zu dem vom Risikostrukturausgleich verfolgten Zweck, jedem Versicherten, gleich wo er versichert ist, die gleiche medizinische Versorgung zu Preisen, die der jeweiligen individuellen Leistungsfähigkeit entsprechen, zukommen zu lassen.

B.

Auch das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 10. Dezember 2001 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

I. Die mit dem Reformgesetz bewirkte Einführung des direkt morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber verfolgt legitime Ziele, weil er hierdurch den Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken verbessern und insbesondere Risikoselektion zulasten von - chronisch - Kranken vermeiden will.

II. Auch die Einführung eines Risikopools ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Hierbei handelt es sich um einen den Risikostrukturausgleich ergänzenden Finanzausgleich zur Verteilung der Lasten besonders aufwändiger Leistungsfälle. Er ist zulässig, da er bis zur Einführung des direkt morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs den Solidarausgleich ergänzend sicherstellt.

III. An der Einführung strukturierter Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen war der Gesetzgeber ebenfalls verfassungsrechtlich nicht gehindert. Mit der Zuweisung eines speziellen Beitragsbedarfs zur Durchführung der strukturierten Behandlungsprogramme haben die Kassen einen finanziellen Anreiz, entsprechende Programme aufzulegen und so die Qualität der Versorgung chronisch kranker Menschen zu verbessern.

IV. Die Ermächtigung zur Regelung der Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs durch Rechtsverordnung hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Ziele und Zwecke der Ermächtigung hat der Gesetzgeber im Reformgesetz deutlich vorgegeben. Auch die inhaltlichen Modalitäten der Verordnung sind im Gesetz hinreichend bestimmt.

Karlsruhe, den 31. August 2005