Bundesverfassungsgericht

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Trotz Nichtannahme erfolgreiche Verfassungsbeschwerden – Verpflichtung der Fachgerichte zur Belehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung

Pressemitteilung Nr. 98/2005 vom 12. Oktober 2005

Beschluss vom 27. September 2005
2 BvR 172/04

Die Beschwerdeführer sind Strafgefangene. Ihre getrennt voneinander eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden. Im fachgerichtlichen Verfahren hatten sie jeweils eine Rechtsbeschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die für die Aufnahme zuständigen Rechtspfleger hatten die Niederschriften mit einer beigefügten privatschriftlichen Begründung des jeweiligen Beschwerdeführers an das jeweils zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet. Die Oberlandesgerichte verwarfen die Rechtsbeschwerden als unzulässig, weil der Rechtspfleger gestaltend an der Abfassung der Rechtsmittelschrift mitwirken und für deren Inhalt selbst die Verantwortung übernehmen müsse. Ein in der Niederschrift enthaltener Hinweis auf die dem Protokoll als Anlage beigefügte privatschriftliche Begründung des Beschwerdeführers reiche dafür nicht aus. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen komme nicht in Betracht.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren. Eine fehlerhafte Aufnahme ihrer Rechtsbeschwerde durch den Rechtspfleger dürfe nicht ihnen zur Last gelegt werden. Die 1. Kammer des Zweiten Senats nahm die Verfassungsbeschwerden zwar nicht zur Entscheidung an. Aus der Begründung der Nichtannahmeentscheidung ergibt sich jedoch, dass die Gerichte in Fällen wie den vorliegenden einem Rechtsuchenden den Weg weisen müssen, auf dem vermieden werden kann, dass er wegen eines auf Seiten der Justiz unterlaufenen Fehlers einen Rechtsverlust erleidet:

Die Verfassungsbeschwerde sei nicht zur Entscheidung anzunehmen, da der Rechtsweg noch nicht erschöpft sei. Da eine durch Fehler der aufnehmenden Justizbediensteten bedingte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern auf einem Fehler der Justiz beruhe, hätten die Beschwerdeführer die Möglichkeit, zunächst bei den Fachgerichten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Eine Wiedereinsetzung scheide hier nicht wegen Fristablaufs aus. Jedenfalls dann, wenn der Wiedereinsetzungsgrund, wie hier, in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liege, fordere der Grundsatz fairer Verfahrensführung eine ausdrückliche Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung. Ohne eine solche Belehrung, die hier bislang unterblieben sei, beginne die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu laufen. Daher könnten die Beschwerdeführer innerhalb einer Woche ab Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle bei dem jeweils zuständigen Landgericht erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem sie gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.

Karlsruhe, den 12. Oktober 2005