Bundesverfassungsgericht

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Tag der offenen Tür – Verhandlung des Zweiten Senats am 23. November 2005 in Sachen „Wohnungsdurchsuchung bei Richterin“

Pressemitteilung Nr. 107/2005 vom 28. Oktober 2005

2 BvR 2099/04

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am

Mittwoch, 23. November 2005, 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

die Verfassungsbeschwerde einer Richterin, die sich gegen die Anordnung der Durchsuchung ihrer Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen wendet.

Sachverhalt:

Seit Mitte 2002 ermittelten örtliche Polizeibehörden in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt, dem Bundeskriminalamt und einer US- amerikanischen Polizeibehörde gegen zwei Beschuldigte wegen des Verdachts der Planung eines Anschlags auf eine US-Einrichtung in Heidelberg oder die Heidelberger Innenstadt. Am 5. September 2002 wurden die beiden Beschuldigten vorläufig festgenommen. Die Staatsanwaltschaft beantragte den Erlass von Haftbefehlen und leitete die Ermittlungsakten am Vormittag des 6. September 2002 der Ermittlungsrichterin (Beschwerdeführerin) zu. Zwischen 12.00 Uhr und 12.30 Uhr führte diese die Beschuldigtenvernehmung in Anwesenheit eines Verteidigers durch und erließ anschließend die beantragten Haftbefehle.

Zwischen 13.30 Uhr und 14.30 Uhr riefen ein für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" tätiger Reporter und später auch ein Reporter des Nachrichtenmagazins "Focus" in der Kanzlei des Verteidigers eines der Beschuldigten an, um sich nach dem Ermittlungsverfahren zu erkundigen. Zwischen 16.00 Uhr und 16.30 Uhr wandten sich Journalisten der Nachrichtenagentur AP und der Bild-Zeitung mit entsprechenden Anfragen an die Pressestelle des Landeskriminalamtes, das zu diesem Zeitpunkt keine Auskünfte erteilte. Ab 18.15 Uhr berichteten verschiedene Medien unter Berufung auf Berichte in der Bild-Zeitung von dem Ermittlungsverfahren.

Nachdem die Staatsanwaltschaft erfahren hatte, dass die Ermittlungsrichterin und der für den Spiegel tätige Reporter einander persönlich bekannt waren, leitete sie gegen die Ermittlungsrichterin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen ein und ließ eine Vielzahl von Personen befragen - auch im Arbeitsumfeld der Beschwerdeführerin, die selbst nicht vernommen wurde und die einzige Beschuldigte blieb. Die Überprüfung der Verbindungsdaten der - unter anderem - von der Ermittlungsrichterin benutzten gerichtlichen und privaten Telekommunikationsanschlüsse ergab jedoch keine Verbindungsaufnahme zu dem Journalisten. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen für die Wohnung und das Dienstzimmer der Ermittlungsrichterin. Das Amtsgericht lehnte die beantragten Beschlüsse ab, da der Kreis der Personen, die als Informanten der Presse in Frage kämen, zu groß sei, um einen konkreten Tatverdacht gegen die Ermittlungsrichterin begründen zu können. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin ordnete das Landgericht fast fünf Monate nach dem mutmaßlichen Tatzeitraum am 28. Januar 2003 die Durchsuchung der Wohnung und des Dienstzimmers der Ermittlungsrichterin an sowie die Beschlagnahme ihrer Computer, von Ablichtungen aus den Ermittlungsakten und von Einzelverbindungsnachweisen ihres Mobiltelefons. Die Durchsuchungen blieben ergebnislos.

Die gegen die Durchsuchungsanordnung gerichtete Beschwerde der Ermittlungsrichterin lehnte das Landgericht ab. Diesen Beschluss hob die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 5. Februar 2004 wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück (Aktenzeichen 2 BvR 1621/03; Pressemitteilung Nr. 20/2004 vom 27. Februar 2004).

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2004 lehnte das Landgericht eine Feststellung, die Durchsuchung sei rechtswidrig gewesen, erneut ab.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts vom 28. Januar 2003, wobei sie ihre Verfassungsbeschwerde ausdrücklich auf die Maßnahmen, die ihre Privatwohnung betreffen, beschränkt. Sie rügt unter anderem eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG). Der Durchsuchungsbeschluss habe dem Zugriff auf die gespeicherten Verbindungsdaten ihres E-Mail- Verkehrs sowie auf die Einzelverbindungsnachweise ihres Mobilfunkgeräts gedient. Der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG erstrecke sich nicht nur auf den fernmeldetechnischen Übermittlungsvorgang als solchen; vielmehr seien auch die in den Endgeräten gespeicherten Verbindungsdaten, die beim Nutzer vorhandenen Einzelverbindungsnachweise und auf dem Computer gespeicherte Kommunikationsnachweise, insbesondere E-Mails, vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst. Eine Beschränkung des Schutzbereichs des Art. 10 Abs. 1 GG auf den Übermittlungsvorgang werde der technischen Entwicklung nicht gerecht, weil viele Leistungen der heute üblichen Endgeräte nicht vollständig im Machtbereich des Nutzers lägen. Auch aus der Aktivierung von Zugangssperren (PIN und Passwort) werde deutlich, dass der Betroffene auch in seiner Sphäre an der Vertraulichkeit des Fernmeldeverkehrs festhalten wolle. Der Zugriff auf die Verbindungsdaten wäre demzufolge nur unter den engen - hier nicht erfüllten - Voraussetzungen der §§ 100 g StPO und 100 h StPO zulässig gewesen.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an der Verhandlung teilnehmen wollen, melden sich bitte schriftlich an (Postfach 1771, 76006 Karlsruhe, z. Hd. v. Herrn Kambeitz; Fax: 0721/9101461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer anzugeben.