Bundesverfassungsgericht

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Die Erhebung von "Beiträgen" nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar

Pressemitteilung Nr. 139/2009 vom 11. Dezember 2009

Beschluss vom 24. November 2009
2 BvR 1387/04

Am 1. August 1998 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) in Kraft. Dieses verpflichtet Einlagenkreditinstitute sowie Kreditinstitute und andere Finanzdienstleistungsinstitute mit bestimmten Erlaubnissen unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen, ihre Einlagen und Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften durch die Zugehörigkeit zu einer Entschädigungseinrichtung zu sichern. Hierzu unterscheidet das Gesetz drei verschiedene Institutsgruppen, die entweder der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH oder der Entschädigungseinrichtung des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands GmbH oder der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet sind. Die Entschädigungseinrichtungen haben die Aufgabe, die Beiträge der ihnen zugeordneten Institute einzuziehen, die Mittel anzulegen und im Entschädigungsfall die Gläubiger für nicht zurückgezahlte Einlagen oder für nicht erfüllte Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu entschädigen. Die Mittel zur Finanzierung der Entschädigung werden nach dem Kostendeckungsprinzip durch Beiträge der Institute erbracht, die der Entschädigungseinrichtung zugeordnet sind. Das Gesetz unterscheidet zwischen Jahresbeiträgen, Einmalzahlungen erstmals zugeordneter Institute, den Erstbeiträgen sowie den Sonderbeiträgen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen hat die Entschädigungseinrichtung Sonderbeiträge zu erheben und Kredite aufzunehmen, wenn dies zur Durchführung eines Entschädigungsverfahrens erforderlich ist. Auf der Grundlage dieses Gesetzes regelt die Verordnung über die Beiträge zu der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (BeitragsVO), die Höhe der abzuführenden Beiträge und Einmaleinzahlungen.

Die gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorschriften zur Beitragserhebung, die in den für die Jahre 1999 bis 2001 geltenden Fassungen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde maßgeblich waren, wurden zuletzt im August 2009 erheblich modifiziert. Neben der Erhöhung des Entschädigungsanspruchs des Anlegers und einer Beschleunigung der Auszahlung der Entschädigungsleistungen hat der Gesetzgeber die Regelungen zur Erhebung der Sonderbeiträge konkretisiert. Die grundsätzliche Risikoverteilung durch Zuordnung der Institute zu unterschiedlichen Entschädigungseinrichtungen mit jeweils voneinander getrennten Entschädigungsaufgaben ist jedoch unverändert geblieben.

Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft, die sowohl börsliche als auch außerbörsliche Wertpapiergeschäfte betreibt und der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet ist. Gegen die von der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen festgesetzten Jahresbeiträge für die Jahre 1999, 2000 und 2001 legte sie Widersprüche ein, die das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen jeweils zurückwies. Die Klage und die Revsion zum Bundesverwaltungsgericht gegen diese Bescheide blieben erfolglos. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere, dass es sich bei den Jahresbeiträgen nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz um verfassungswidrige Sonderabgaben handele.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die teilweise zulässige Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin ist durch die Erhebung der Jahresbeiträge nach § 8 Abs. 2, 3 EAEG in Verbindung mit der Beitragsverordnung nicht in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt. Das Gesetz greift zwar in den Schutzbereich dieses Grundrechts ein, die Erhebung dieser Abgabe erfüllt aber die strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen einer zulässigen Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die gesetzliche Ermächtigung zur Erhebung von Sonderbeiträgen nach § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 EAEG (2001) in Verbindung mit § 3 BeitragsVO (2000) richtet, weil die Beschwerdeführerin insoweit nicht beschwert und die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auch verfristet ist. Soweit die Beschwerdeführerin die Verfassungswidrigkeit der Erhebung der Jahresbeiträge nach § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EAEG iVm §§ 1, 2 BeitragsVO rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

Unbeschadet der damit verbundenen Begrenzung der zulässigen Verfassungsbeschwerde auf die Erhebung von Jahresbeiträgen ist das Grundkonzept der Risikozuweisung nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz in die verfassungsrechtliche Würdigung der Jahresbeiträge einzubeziehen. Schon die Belastung mit Jahresbeiträgen ist Ausdruck einer spezifischen Risikozuweisung an die Abgabepflichtigen. Mit der Zuordnung zur Entschädigungseinrichtung für Institute nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG ("andere Institute") wird die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 EAEG zwar in noch unbestimmter Höhe, aber dem Grunde nach für Entschädigungsfälle innerhalb der Gruppe der der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zugeordneten Institute in Anspruch genommen.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Insbesondere Art. 12 GG ist nicht verletzt, auch wenn die angegriffene Abgabenregelung in die Berufssfreiheit der Abgabepflichtigen eingreift. Die vom Gesetz als Beitrag bezeichnete Abgabe knüpft insoweit ähnlich der Umlage zur Finanzierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den Aufsichtsbereichen Kredit- und Finanzdienstleistungswesen und Wertpapierhandel (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16. September 2009 - 2 BvR 852/07 -, WM 2009, S. 2023) tatbestandlich unmittelbar an die Tätigkeit bestimmter Unternehmen auf dem Finanzmarkt an und bemisst sich im Grundsatz nach dem Geschäftsumfang. Wie jene Umlage dient auch hier das Abgabenaufkommen der Gewährleistung der Rahmenbedingungen eines spezifischen Marktes, und die Abgabepflichtigen werden wegen der Beteiligung an diesem Markt in Anspruch genommen.

Der Bund konnte die angegriffenen Regelungen im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft gemäß Art. 72 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erlassen. Es handelt sich bei den Jahresbeiträgen um Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion, die den besonderen Anforderungen, die sich für solche Abgaben aus den Schutz- und Begrenzungsfunktionen der Finanzverfassung ergeben, gerecht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann diese Abgabe nicht als Steuer, sondern nur als eine nichtsteuerliche Abgabe verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden und die Auferlegung einer solchen Abgabe wird grundsätzlich begrenzt durch das Erfordernis eines besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes.

Die Abgabenerhebung verfolgt einen Sachzweck, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Die obligatorische Zugehörigkeit zu einer der Entschädigungseinrichtungen ist Bestandteil des für den Zugang der betroffenen Institute zu den Finanzmärkten bestehenden Zulassungssystems (§ 32 Abs. 3, 3a, § 35 Abs. 1 Satz 2 KWG) und so Teil der gesetzlichen Finanzmarktregulierung. Insbesondere soll den Anlegern durch den harmonisierten Mindestschutz der vertrauensvolle Zugang zu Wertpapierdienstleistungen EU-ausländischer Wertpapierfirmen verschafft und Wertpapierfirmen der grenzüberschreitende Vertrieb von Wertpapierdienstleistungen innerhalb der EU ohne die Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einem Anlegerentschädigungssystem außerhalb ihres Heimatlandes ermöglicht werden.

Die gemeinschaftsrechtlich vorstrukturierte Gruppe der Wertpapierhandels¬unternehmen ist gerade im Hinblick auf die finanzverfassungsrechtlich entscheidende Sachnähe und Finanzierungsverantwortung für die mit der Abgabenerhebung verfolgten Ziele homogen. Die gemeinschaftsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 der Anlegerentschädigungsrichtlinie zwingend vorgegebene Pflicht des Anschlusses grundsätzlich aller zu Wertpapiergeschäften zugelassenen Unternehmen an ein Entschädigungssystem begründet bereits eine besondere Nähe zu den Schutz- und Sicherungszielen der Anlegerentschädigung. Diese Grundpflicht ist auch unabhängig von weiteren gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, etwa den Regelungen zu staatlichen Beihilfen nach Art. 87 ff. EG, im Ergebnis als ein wesentliches Element einer auch finanzverfassungsrechtlich erheblichen spezifischen Sachnähe der Wertpapierhandelsunternehmen zu werten.

Trotz übergreifender, alle Institutsgruppen betreffenden Finanzmarktrisiken ist es mit den Anforderungen an Sachnähe und Finanzierungsverantwortung einer homogenen Gruppe jedenfalls im Ansatz vereinbar, dass der Gesetzgeber keine einheitliche Entschädigungseinrichtung für alle Einlagenkreditinstitute und Wertpapierhandelsunternehmen und damit keine einheitliche Risikogemeinschaft geschaffen, sondern Risikogemeinschaften und Risikozuweisungen gemäß § 6 Abs. 1 EAEG segmentiert hat durch eine Aufteilung in drei verschiedene Institutsgruppen - privatrechtliche und öffentlichrechtliche Einlagenkreditinstitute sowie Wertpapierhandelsunternehmen als "andere Institute" -, die jeweils einer eigenen Entschädigungseinrichtung zugeordnet sind. Insbesondere dann, wenn sie auf unterschiedlichen institutionellen und rechtlichen Strukturen der verschiedenen Gruppen in sachgerechter Weise aufbaut, kann diese Segmentierung auch nach Sinn und Zweck der strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung von Sonderabgaben vertretbar sein, denn es geht hierbei nicht um die Grundentscheidung über eine Sonderbelastung, sondern um deren sach- und zweckgerechte Ausgestaltung, für die dem Gesetzgeber ein angemessener Gestaltungsspielraum einzuräumen ist. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Einlagensicherung in Deutschland wie auch der gemeinschaftsrechtlichen Regulierung der Finanzmärkte stellt sich die Aufteilung der Ausfallrisiken auf die unterschiedlichen Institutsgruppen im Ansatz als eine sach- und zweckgerechte Lösung dar.

Die Ausgestaltung funktionsfähiger Entschädigungssysteme auf dem Finanzmarkt stellt eine außerordentlich komplexe Aufgabe dar. Der Gesetzgeber hat mit dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz im Jahr 1998 regulatorisches Neuland betreten, auf dem Einschätzungen und Prognosen mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind. Vor dem Hintergrund der spezifisch unterschiedlichen Ausgangssituation der Einlagenkreditinstitute auf der einen Seite und der "anderen" Institute (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG) auf der anderen Seite war die Anknüpfung an erprobte organisatorische Strukturen bereits vorhandener Entschädigungseinrichtungen mit der korrespondierenden Bildung unterschiedlicher Institutsgruppen in dieser Situation dem Grunde nach gut vertretbar. Der Gesetzgeber konnte im Hinblick auf die Eignung der Bildung unterschiedlicher Institutsgruppen nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen einen gewissen Einschätzungs- und Prognosespielraum für sich in Anspruch nehmen.

Sachnähe und Finanzierungsverantwortung der Wertpapierhandelsunternehmen sind auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die finanzielle Inpflichtnahme der zur Entschädigungseinrichtung verbundenen Institute in der Sache eine Verantwortungszurechnung - auch - für die Folgen fremden Fehlverhaltens bedeutet. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Solidarfonds Abfallrückführung (BVerfGE 113, 128 ) schließen es die Grundsätze über die Zulässigkeit von Sonderabgaben nicht von vornherein aus, über eine solche Abgabe im Wege sogenannter Fondslösungen auch die Beseitigung der Folgen von Fehlverhalten - beispielsweise umweltschädigendem Verhalten - in Fällen zu finanzieren, in denen die in erster Linie Verantwortlichen nicht herangezogen werden können, weil sie nicht auffindbar oder nicht zahlungsfähig sind oder aus anderen Gründen eine effektive individuelle Schadenszurechnung nicht möglich ist.

Der Gesetzgeber konnte auch jenen Instituten eine Finanzierungsverantwortung zurechnen, deren Kundenkreis sich tatsächlich, wie derjenige der Beschwerdeführerin, ausschließlich auf sogenannte institutionelle Anleger beschränkt, die im Entschädigungsfall gemäß § 3 Abs. 2 EAEG nicht anspruchsberechtigt sind. Die Einbeziehung solcher Institute in den Kreis der Abgabepflichtigen, die nach ihrer Erlaubnis nicht befugt sind, sich Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren ihrer Kunden zu verschaffen, trägt einerseits möglichen Überschreitungen des aufsichtsrechtlich Erlaubten Rechnung, andererseits bewirkt die Ausfallhaftung der Gesamtgruppe auch diesen Instituten gegenüber den Vorteil der marktstabilisierenden Stärkung des Kundenvertrauens in redliches Geschäftsgebaren.

Das Erfordernis gruppennütziger Verwendung des Aufkommens aus der Sonderabgabe ist ebenfalls erfüllt. Die Jahresbeiträge zur Finanzierung der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen finden ihre Rechtfertigung in einer Verantwortlichkeit für die Folgen gruppenspezifischer Zustände und Verhaltensweisen.