Kinderehe
Der Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Allerdings bedarf es dann Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit, etwa über Unterhaltsansprüche, und über eine Möglichkeit, die betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können. Da das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen derartige Regelungen nicht enthält, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss den im Rahmen eines Vorlageverfahrens zur Überprüfung gestellten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit vom Gericht näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft. Der Gesetzgeber hat bis längstens 30. Juni 2024 Zeit, eine in jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.
Sachverhalt:
Das Vorlageverfahren betrifft den im Jahr 2017 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen eingefügten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB). Die Vorschrift bestimmt durch unmittelbare gesetzliche Anordnung, dass unter Beteiligung nach ausländischem Recht ehemündiger Minderjähriger geschlossene Ehen nach deutschem Recht – vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB – unwirksam sind, wenn zumindest einer der Eheschließenden im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Wesentlich geht es um die Frage, welche verfassungsrechtlichen, insbesondere aus der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen bei gesetzlichen Regelungen zur inländischen Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen mit Minderjährigen zu beachten sind.
Das zugrunde liegende familiengerichtliche Ausgangsverfahren betrifft eine im Jahr 2015 vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht geschlossene Ehe zwischen einem im Januar 1994 geborenen Mann und einer im Januar 2001 geborenen Frau; beide sind syrische Staatsangehörige. Auf Grund der Kriegsereignisse in ihrem Heimatland flüchteten sie gemeinsam nach Deutschland, wo sie im August 2015 ankamen. Das örtlich zuständige Jugendamt nahm die junge Frau in Obhut und brachte sie in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter. Zudem regte es die Bestellung eines Vormunds für sie an. Das Familiengericht stellte das Ruhen der elterlichen Sorge für die junge Frau fest, ordnete Vormundschaft an und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund.
Daraufhin wandte sich der Ehemann an das Familiengericht und beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme sowie unter Hinweis auf die nach syrischem Recht wirksame Ehe die Rückführung seiner Frau zu ihm. Der im Ausgangsverfahren letztinstanzlich zuständige Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine unter Beteiligung einer nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen Person geschlossene Ehe nach deutschem Recht − vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB − ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert, wenn die minderjährige Person im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Er hält die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB angeordnete inländische Unwirksamkeit der betroffenen Auslandsehen vor allem für mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB genügt nicht sämtlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen; er verletzt, soweit nicht die Ausnahmen nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB greifen, das Grundrecht der Ehefreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG. Obwohl der Gesetzgeber grundsätzlich befugt ist, die inländische Wirksamkeit im Ausland geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen, erweist sich Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB jedoch in seiner derzeitigen Ausgestaltung wegen fehlender Folgeregelungen und unzureichender Möglichkeiten, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch inländisch als wirksame zu führen, als unangemessen und ist damit nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.
1. Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist eine im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft; die Ehe wird durch die Eheschließung als formalisierten, nach außen erkennbaren Akt begründet. Die Ehefreiheit als Menschenrecht gilt gleichermaßen für deutsche und ausländische Staatsangehörige wie für staatenlose Personen. Der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG ist auch nicht auf rein inlandsbezogene Ehen beschränkt. Er umfasst vielmehr grundsätzlich eheliche Lebensgemeinschaften unabhängig davon, wo und nach Maßgabe welcher Rechtsordnung sie begründet wurden und ob die Rechtswirkungen des ehelichen oder familiären Bandes nach deutschem oder ausländischem Recht zu beurteilen sind.
Die Freiheit der Eheschließung erfordert und gestattet allerdings gesetzliche Regeln insbesondere über die Eheschließung und ihre sachlichen Voraussetzungen. Solche Regelungen müssen die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben. Dazu gehört, dass in der von Art. 6 Abs. 1 GG (in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG) geschützten Ehe die Beteiligten in einer gleichberechtigten Partnerschaft zueinander stehen und ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen, was eine einseitige Dominanz eines Ehepartners bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen ausschließt. Das von einer gleichberechtigten Partnerschaft und einer gemeinsamen Verantwortung der Eheleute geprägte Strukturprinzip nimmt diesen nicht die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung ihres ehelichen Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Die Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien schließt aber im Grundsatz gesetzliche Regelungen aus, die zu einer einseitigen Dominanz eines Partners bei der Gestaltung der beide betreffenden Verhältnisse beitragen würden. Er kann sogar gehalten sein, zur Gewährleistung des Strukturprinzips gleichberechtigter Partnerschaft rechtliche Bedingungen zu schaffen, die dies ermöglichen.
2. Der vorgelegte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, der den Schutzbereich der Ehefreiheit berührt, ist zwar mit den die Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG prägenden Strukturprinzipien vereinbar. Soweit nicht die Ausnahmen nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB greifen, schränkt er jedoch wegen fehlender Folgeregelungen und unzureichender Möglichkeiten, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit inländisch wirksam fortzuführen, die Ehefreiheit unangemessen ein und ist damit nicht im engeren Sinne verhältnismäßig.
a) Die in der vorgelegten Vorschrift unmittelbar durch Gesetz angeordnete inländische Unwirksamkeit nach ausländischem Recht wirksam geschlossener Ehen erfasst jedenfalls auch solche Auslandsehen, die nicht mit verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien in Widerspruch stehen und daher in den Schutzbereich der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG fallen. Zwar ist die vom Grundgesetz geschützte Ehe als eine auf freiem Willen beider Partner beruhende, gleichberechtigte Partnerschaft und gemeinsame Verantwortung der Eheleute ermöglichende Lebensgemeinschaft geprägt. Das setzt grundsätzlich die Fähigkeit der Ehepartner voraus, eine auf das Eingehen einer solchen Verbindung gerichtete Entscheidung selbstverantwortlich zu treffen. Dies erfordert nicht nur die Abwesenheit von Zwang bei der Eheschließung, sondern auch eine hinreichende Persönlichkeitsentwicklung, an der es Minderjährigen entwicklungsbedingt fehlen kann. Ihnen mangelt es dann an der erforderlichen Ehefähigkeit. Es lässt sich verfassungsrechtlich allerdings nicht annehmen, dass die Ehefähigkeit – als Element des verfassungsrechtlichen Strukturprinzips – durchgängig erst ab der Vollendung des 16. Lebensjahres besteht. Zu bedenken ist, dass unter der Geltung des Grundgesetzes das bürgerliche Recht bis zum 1. Januar 1975 einen für Frauen geltenden, die Eheschließung auch im Alter von unter 16 Jahren ermöglichenden Befreiungstatbestand enthielt. Das damalige Verfassungsverständnis schloss Ehen mit unter 16-Jährigen nicht durchgängig aus dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG aus. Ein verfassungsrechtlich bedeutsamer Wandel insoweit ist derzeit nicht zu verzeichnen.
b) Die Anordnung inländischer Unwirksamkeit näher bestimmter, nach ausländischem Recht wirksam geschlossener Ehen verstößt nicht ihrerseits gegen die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien der Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG. Sie zielt vielmehr gerade darauf ab, für im Inland gelebte Ehen das Strukturprinzip der auf einem freien selbstverantwortlichen Entschluss beruhenden sowie gleichberechtigte Partnerschaft und gemeinsame Verantwortung ermöglichenden Ehe zu gewährleisten, indem vor Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossene Ehen inländisch nicht den Rechtsbindungen der Ehe unterworfen werden. Kinder befinden sich noch in der Entwicklung. Sie verfügen unter anderem in geistiger und sozialer Hinsicht noch nicht über den üblicherweise bei Erwachsenen vorhandenen Stand an Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen, Wissen und Reife. Bei ihnen fehlt häufig noch die Erfahrung, um mit rechtsgeschäftlichen Erklärungen verbundene Risiken zu erkennen und realistisch einschätzen zu können. Dessen bedarf es aber, um eine eigenverantwortliche Entscheidung über das Eingehen einer Ehe in Kenntnis der damit verbundenen Folgen zu treffen und eine Ehe so zu gestalten, dass jedenfalls die Möglichkeit eröffnet ist, sie in gleichberechtigter Partnerschaft zu führen.
c) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB greift dennoch in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise in die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit ein. Der Gesetzgeber ist zwar grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung statusrechtlich die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Obwohl der Gesetzgeber legitime Ziele verfolgt und die Regelung zu deren Erreichen geeignet und erforderlich ist, erweist sich Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in seiner derzeitigen Ausgestaltung jedoch als unangemessen und ist damit nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.
aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Minderjährigenschutz sowie der Schaffung von Rechtsklarheit verfassungsrechtlich legitime Ziele. Mit dem Ziel des Minderjährigenschutzes strebt der Gesetzgeber erkennbar an, das aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete und an den Staat gerichtete Recht von Kindern zu gewährleisten, bei ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft unterstützt und gefördert zu werden. Die Annahme des Gesetzgebers, dass das vormalige Recht dem Schutzbedürfnis Minderjähriger bei der inländischen Anerkennung nach ausländischem Recht wirksam geschlossener Ehen nicht genügend gerecht wurde, kann sich auf ausreichend tragfähige Grundlagen stützen. Es ist entwicklungspsychologisch hinreichend gesichert, dass Kinder unter 16 Jahren entwicklungsbedingt regelmäßig noch nicht in der Lage sind, die mit dem Eingehen einer Ehe verbundenen Folgen einschätzen zu können. Das stellt die Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung für die Eheschließung in Frage.
Verfassungsrechtlich legitim ist der Zweck des Minderjährigenschutzes auch insoweit, als mit der vorgelegten Norm zu der internationalen Ächtung von Kinderehen beigetragen werden soll. Dieses Ziel des Gesetzgebers steht in Einklang mit dem Bemühen der Vereinten Nationen, den wegen der Beeinträchtigung der Entwicklungschancen vieler Kinder, vor allem von Mädchen, als schädliche Praxis bewerteten Kinder-, Früh- und Zwangsehen weltweit zu begegnen. Schon nach Art. 16 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte darf eine Ehe nur „aufgrund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten“ geschlossen werden und setzt auf Seiten beider Eheschließender Heiratsfähigkeit voraus. Entsprechendes fordern der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Wegen der in Art. 24 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit ist es verfassungsrechtlich legitim, jenseits des Schutzes der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unmittelbar erfassten (bei Eheschließung) Minderjährigen auch dem Schutz der weltweit von der Praxis der Kinderehe betroffenen Minderjährigen dienen zu wollen.
bb) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist im verfassungsrechtlichen Sinne zur Erreichung der mit der Regelung verfolgten Zwecke geeignet und erforderlich. Sowohl der angestrebte unmittelbare und mittelbare Minderjährigenschutz als auch die auf die inländische Unwirksamkeit der erfassten Ehen bezogene Rechtsklarheit können durch die vorgelegte Vorschrift gefördert werden. Durch die im Gesetz selbst angeordnete inländische Unwirksamkeit der Ehe kann der Zweck, im Zeitpunkt der Heirat unter 16-Jährige vor den Folgen einer solchen Ehe und dem mit ihr möglicherweise verbundenen Verlust von eigenen Entwicklungschancen zu bewahren, gefördert werden. So kann die Nichtanerkennung der Ehe die durch eine alters- und entwicklungsbedingt regelmäßig nicht vollumfänglich eigenverantwortliche Eheschließung fortdauernd beeinträchtigte Freiheit der Selbstbestimmung wiederherstellen, indem aus der im Ausland wirksam geschlossenen Ehe im Inland keine Rechtsfolgen abgeleitet werden. Damit kann die Regelung auch dem Umstand entgegenwirken, dass über den Zeitpunkt der Eheschließung hinausgehend die Selbstbestimmung minderjähriger Ehegatten während des ehelichen Zusammenlebens fortbestehend beeinträchtigt ist.
Die vorgelegte Norm ist auch nicht deshalb im verfassungsrechtlichen Sinne ungeeignet, weil sie keine Einzelfallprüfung vorsieht. Es ist nicht erkennbar, dass dem Gesetzgeber Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, mit denen die verfolgten Zwecke mit geringeren Belastungen sicher gleich wirksam erreicht werden können. Insbesondere steht der Erforderlichkeit nicht entgegen, dass die Unwirksamkeit der von der Regelung erfassten Auslandsehen auch in einem gerichtlichen Statusverfahren einzelfallbezogen ausgesprochen werden könnte. Weder geringere Belastungen noch eine gleiche Wirksamkeit bei dem Erreichen der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke sind gesichert. Es ist nicht gesichert, dass die Unwirksamkeitsfeststellung in einem Statusverfahren den angestrebten Minderjährigenschutz in gleicher Weise bewirken würde wie die gesetzesunmittelbare Anordnung inländischer Nichtigkeit der Ehe. Da allein die gerichtliche Entscheidung für die Beurteilung des Statusverhältnisses maßgeblich wäre, könnte sich niemand vor deren Ergehen auf die Unwirksamkeit der Minderjährigenehe berufen. Bis zur Rechtskraft würde die von bei Heirat unter 16-Jährigen geschlossene Ehe Rechtswirkungen entfalten. Gerade vor solchen Rechtswirkungen sollen solche minderjährigen Partnerinnen oder Partner, bei denen wegen der regelmäßig geringer entwickelten Fähigkeit zur Selbstbestimmung von einer höheren Schutzbedürftigkeit auszugehen ist, jedoch geschützt werden. Dem kann wegen des Zeitraums bis zur rechtskräftigen Entscheidung nicht in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie bei einer durch das Gesetz unmittelbar angeordneten Ehenichtigkeit.
cc) Die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unmittelbar durch Gesetz angeordnete Unwirksamkeit der betroffenen nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehen ist aber nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Der dadurch bewirkte Eingriff in die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG ist wegen des Fehlens von Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit außerhalb der Statusfolge und über eine Möglichkeit für die bei Heirat unter 16-Jährigen, die wirksame Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach inländischem Recht als wirksame Ehe führen zu können, unangemessen.
(1) Der Unwirksamkeit nach ausländischem Recht wirksam geschlossener Ehen kommt für die in den Schutzbereich gehörenden Ehen ein nicht unerhebliches Eingriffsgewicht zu, weil Strukturprinzipien des Art. 6 Abs. 1 GG berührt sind. Betroffenen, die im Ausland bereits als Eheleute zusammengelebt haben und an ihrer Verbindung in dieser Rechtsform festhalten wollen, wird dies in den Konstellationen des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB im deutschen Rechtsraum nicht ermöglicht. Für das Gewicht des Eingriffs ist zu berücksichtigen, dass die Partnerinnen und Partner von in den Schutzbereich der Ehefreiheit fallenden Ehen auch keine Möglichkeit haben, ihre auf der Grundlage ausländischen Rechts wirksam geschlossene Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit aufgrund eigenverantwortlicher Entscheidung inländisch als wirksame Ehe zu führen. Das berührt die von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit, die Ehe mit einer selbst gewählten Person einzugehen. Diese Freiheit bildet einen elementaren Bestandteil der durch die Grundrechte gewährleisteten freien persönlichen Existenz des Menschen. Damit sind zentrale Bestandteile der Ehefreiheit betroffen. Zudem wird das Recht auf eheliches Zusammenleben in einer bereits nach ausländischem Recht wirksamen Ehe ausgeschlossen. Das Festhalten an dieser Lebensgemeinschaft während der Minderjährigkeit und der Wunsch, diese Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit aufgrund dann eigenverantwortlicher Entscheidung als wirksame zu führen, können Ausdruck des mit zunehmendem Alter von Minderjährigen an Bedeutung gewinnenden Willens sein.
Das Gewicht des Eingriffs in die Eheschließungsfreiheit wird dadurch erhöht, dass den Betroffenen grundsätzlich die mit dem Status verbundenen rechtlichen Vorteile verwehrt sind. Im Verhältnis der Partner zueinander betrifft dies alle die eheliche Lebensgemeinschaft berührenden Rechte und Pflichten vermögensrechtlicher und nicht vermögensrechtlicher Art (eheliche Lebensgemeinschaft, Unterhalt und Erbrecht) einschließlich aller nachehelichen Ansprüche. Anders als bei der Ehescheidung und -aufhebung existieren für den Fall der Unwirksamkeit nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB bei Trennung der (vermeintlichen) Eheleute keine spezifischen Ansprüche zum Zweck des wirtschaftlichen Ausgleichs der im Rahmen des „ehelichen“ Zusammenlebens tatsächlich erfolgten und im Regelfall im Vertrauen auf die rechtliche Wirksamkeit der Ehe getätigten Dispositionen. Allenfalls ein Ausgleich über §§ 812 ff. BGB erscheint zwar nicht völlig ausgeschlossen. Ein spezifisches gerichtliches Verfahren zur Klärung der finanziellen Folgen der unwirksamen Ehe fehlt aber. Mit der Anordnung der Unwirksamkeit der Ehe werden darüber hinaus den Betroffenen alle weiteren mit dem Status der Ehe verbundenen Ansprüche verwehrt.
Dem nicht unerheblichen Gewicht des Eingriffs in die Eheschließungsfreiheit steht vor allem mit dem Minderjährigenschutz auf nationaler und internationaler Ebene ein gewichtiger Gemeinwohlbelang gegenüber. Der Minderjährigenschutz als Gemeinwohlbelang von großer Bedeutung hat seine verfassungsrechtliche Grundlage in dem aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG folgenden Anspruch von Kindern auf Unterstützung und Förderung durch den Staat bei ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der sozialen Gemeinschaft. Diese Schutzverantwortung des Staates erstreckt sich auf alle für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlichen Lebensbedingungen. Sie erschöpft sich nicht in der Sicherung der vorrangigen Elternverantwortung für die Entwicklung des Kindes, sondern umfasst unterstützende und ergänzende Pflichten des Staates, wo dies für dessen Persönlichkeitsentwicklung bedeutsam ist. Die Dringlichkeit des Anliegens, Minderjährigenschutz für die Betroffenen von Minderjährigenehen zu bewirken, findet auch in den zahlreichen völkerrechtlichen Vereinbarungen Ausdruck, die unmittelbar oder mittelbar Minderjährigenehen und deren Überwindung zum Gegenstand haben. Sie wird dadurch unterstrichen, dass die weltweite Überwindung der Praxis von Kinderehen eines von 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals) ist, auf deren Erreichen bis zum Jahr 2030 sich die am Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen beteiligten Staaten im September 2015 verständigt haben. Auf der Ebene der Europäischen Union weist die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Oktober 2017 zu dem Thema „Kinderehen ein Ende setzen“ auf die erheblichen Beeinträchtigungen der Rechte der Kinder, insbesondere der betroffenen Mädchen, bei Kinderehen hin.
(2) Der mit der Unwirksamkeitsanordnung in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verfolgte Zweck steht nicht deshalb außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber für eine vorrangig dem Minderjährigenschutz dienende Regelung keine Einzelfallprüfung und damit auch keine Beteiligung der einzelnen Betroffenen vorgesehen hat. Ein angemessener Ausgleich der betroffenen Interessen kann hier auch ohne beide Elemente gelingen. Weder durch Verfassungsrecht noch durch völkerrechtliche Vorgaben ist der Gesetzgeber gehalten, bei entsprechender Zwecksetzung durchgängig Vorschriften zu schaffen, die die Prüfung der Schutzbedürftigkeit der einzelnen Minderjährigen in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren vorsehen. Aus dem Grundgesetz folgt keine Vorgabe an den Gesetzgeber, den Minderjährigenschutz und damit auch das Kindeswohl betreffende Regelungen so zu gestalten, dass das konkrete Wohl und die konkrete Schutzbedürftigkeit der einzelnen minderjährigen Person geprüft werden muss. Sowohl dem Minderjährigenschutz als auch dem Schutz des Kindeswohls liegt insoweit ein individualistisches Konzept zu Grunde, als sie auf der Wertung aufbauen, dass jedes Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ist. Hieraus folgt aber lediglich, dass das Kindeswohl bei einer sich auf ein bestimmtes Kind auswirkenden Einzelfallmaßnahme, also insbesondere einer gerichtlichen Entscheidung, nicht pauschal, sondern nur individuell in Bezug auf das konkret betroffene Kind bestimmt werden kann und muss. Eine grundsätzliche Einschränkung des Instrumentariums des Gesetzgebers, etwa dergestalt, dass er hier nicht zu ipso-iure-Regelungen greifen dürfte, folgt daraus aber nicht. Minderjährigenschutz und Kindeswohlorientierung erlauben es dem Gesetzgeber, für bestimmte Konstellationen das Schutzbedürfnis generalisierend zu bewerten und das Ergebnis der Wertung zum Gegenstand einer nicht einzelfallbezogen gefassten gesetzlichen Regelung zu machen.
(3) Die vorgelegte Norm ist aber nicht verhältnismäßig im engeren Sinne, weil der Gesetzgeber es trotz des nicht unerheblichen Eingriffs in die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG versäumt hat, die Folgen der gesetzesunmittelbaren Unwirksamkeit zu regeln und eine rechtliche Möglichkeit zu schaffen, die es Minderjährigen erlaubt, nach Erreichen der Volljährigkeit die Ehe im Inland als wirksame zu führen. Trotz der großen Bedeutung des Schutzes Minderjähriger bei von ihnen eingegangenen Ehen steht es dazu nicht in einem angemessenen Verhältnis, dass der Gesetzgeber letztlich keine spezifischen Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit getroffen hat, obwohl Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch nach ausländischem Recht wirksam geschlossene und tatsächlich bereits geführte Ehen erfasst, die in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG fallen. Unter anderem sozio-ökonomische Schutzerwägungen zugunsten der Minderjährigen führen dazu, dass bei der Unwirksamkeitslösung das Fehlen von Regelungen zu nachehelichen Ansprüchen in keinem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Minderjährigenschutz stehen. Die Umstände und die Gründe für das Eingehen solcher Ehen weisen auf eine häufig bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit des minderjährigen Ehegatten von dem älteren Ehepartner hin. So werden als wesentliche individuelle Faktoren, die sich auf den Zeitpunkt der Eheschließung auswirken, der Wohnort und der Bildungsstatus der Betroffenen sowie der ökonomische Status ihrer Familien genannt. Im Heimatland maßgebliche wirtschaftliche Gründe der Minderjährigen für das Eingehen der Ehe können zwar mit der Übersiedlung nach Deutschland an Bedeutung verloren haben. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sie typischerweise gänzlich entfallen sind und die Minderjährigen in sozio-ökonomischer Hinsicht nicht mehr schutzbedürftig sind. Auch wenn nacheheliche Ansprüche wegen der häufig ungünstigen wirtschaftlichen Situation beider nicht stets werthaltig sein dürften, belastet der Verzicht auf die Regelung solcher Ansprüche bei der inländischen Unwirksamkeit der Ehe gerade die zu schützenden Minderjährigen unangemessen, zumal auch keine sonstigen spezifischen Folgeregelungen vorhanden sind. Damit befinden sich die bei Heirat unter 16-jährigen Partnerinnen und Partner der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Ehe in einer ungünstigeren rechtlichen Situation als Minderjährigenehen mit 16- und 17-Jährigen Partnerinnen und Partnern, für die nacheheliche Ansprüche gelten.
Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erweist sich zudem als unangemessener Eingriff in die Eheschließungsfreiheit, weil es an einer Regelung fehlt, die es der Minderjährigen ermöglicht, ab Erreichen der Volljährigkeit die Ehe aufgrund eines nun selbstbestimmten Entschlusses im Inland als wirksame Ehe zu führen. Die allein eröffnete Möglichkeit, denselben Partner erneut im Inland zu heiraten, stellt keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem vom Gesetzgeber bezweckten Minderjährigenschutz einerseits und dem Gewicht des Eingriffs in Art. 6 Abs. 1 GG andererseits dar. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit der bei der Eheschließung noch unter 16-Jährigen greift der Minderjährigenschutz als hauptsächlicher Zweck der vorgelegten Regelung nicht mehr.
3. Der Verstoß der vorgelegten Vorschrift gegen Art. 6 Abs. 1 GG führt allerdings nicht dazu, diese für nichtig zu erklären. Die Nichtigkeitserklärung, die anders als die Erklärung der Unvereinbarkeit nicht mit einer Fortgeltungsanordnung verbunden werden kann, würde einen Zustand herbeiführen, der mit ungeklärten rechtlichen Verhältnissen einherginge und noch verfassungsferner wäre als der bei vorübergehender Weitergeltung des verfassungswidrigen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Daher bedarf es neben der Weitergeltungsanordnung normvertretenden Übergangsrechts, das darauf zu beschränken ist, die zur Verfassungswidrigkeit führenden Umstände zu vermeiden oder zumindest in ihren Wirkungen abzuschwächen, um einem Zustand entgegen zu wirken, der verfassungsferner wäre als bei Nichtigkeit und Unanwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm. Danach bedarf es einer Übergangsregelung lediglich für unterhaltsrechtliche Fragen der weiterhin inländisch unwirksamen Ehe. Um dem zu entsprechen, ist § 1318 BGB auf die hier betroffenen Ehen mit der Maßgabe anzuwenden, dass die durch die Vorschrift für anwendbar erklärten Vorschriften über die Scheidung mit der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eheleute zur Anwendung gelangen. Soweit die danach maßgeblichen Vorschriften auf die Dauer der Ehe abstellen, tritt in den Fällen der nicht nur vorübergehenden Trennung der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Eheleute die Dauer des Zusammenlebens. Während der Dauer des Zusammenlebens gelten übergangsweise die §§ 1360, 1360a BGB für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen entsprechend.